
Die Synagoge in Otterberg wurde 1838 eingeweiht. Im selben Jahr heiratete hier Lazarus Straus seine Cousine Devora Fannie Levi und als die überraschend starb, 1843 ihre jüngere Schwester Sara. Das Paar bekam fünf Kinder: Hermine, Isidor, Nathan, Jakob und Oskar. Jakob starb als Kleinkind, doch die drei anderen Brüder sollten die berühmtesten Söhne der Stadt werden…
Ihr Vater, ein Enkel des gleichnamigen Mitgliedes des französischen Sanhedrins, hatte mit der 1848-er Revolution sympathisiert und 1854 beschlossen, Otterberg zu verlassen und mit Frau und Kindern ins „gelobte Land“, nach Amerika, auszuwandern.
In Talbotton, Georgia, eröffnete Lazarus Straus einen Gemischtwarenladen und siedelte 1866 nach New York um. Hier eröffnete er mit seinem ältesten Sohn Isidor ein Geschirr- und Glaswarenhandelsgeschäft, in das später auch Nathan und Oskar als Partner eintraten, so dass es nun „L. Straus & Sons“ hieß. Das Kaufhaus expandierte unter der Leitung der Söhne und zehn Jahre später übernahmen sie auch das berühmte Kaufhaus Macy`s, das 1902 schließlich an den Standort zog, den es heute noch hat.
Da war Lazarus Straus aber bereits tot. Er war 1899 mit 89 Jahren gestorben und die Nachrufe auf ihn lobten ihn als einen der wohltätigsten Männer New Yorks, einen Förderer von Bildungsinstitutionen und Wissenschaft sowie als entschiedenen Kämpfer gegen die Sklaverei. Und offenbar hatten er und seine Frau ihre Söhne im selben Sinne erzogen.
Isidor Strauss (1845–1912), der älteste, war nicht nur Kaufhausbesitzer, sondern saß auch für die Demokraten im Repräsentantenhaus, war beteiligt an der Herstellung des Wilsontarifs, Mitgründer des American Jewish Committee, hatte Palästina mehrfach besucht und viel Geld in den Aufbau einer jüdischen Heimstatt und die Projekte seines Bruders Nathan gesteckt. 1912 hatte er mit seiner Frau Ida seine alte Heimat in Europa besucht und für die Rückfahrt Plätze auf der Titanic gebucht. Als die am 15. April unterging, waren auch Isidor und Ida unter den 1524 Todesopfern. Nach Augenzeugenberichten habe sich das Paar zu einem Rettungsboot auf der Backbordseite begeben, wo aber nur Frauen zugelassen wurden. Ida Straus habe sich geweigert, ihren Mann allein zurückzulassen und auch der hätte abgelehnt, als angeboten wurde, eine Ausnahme für den prominenten betagten Mann zu machen. Überlebende aus den Rettungsbooten haben das Paar zuletzt auf Liegestühlen an Deck sitzen sehen…
Oskar Salomon Straus (1850–1926), der jüngste der Brüder, hatte eine ganz andere Karriere gemacht. Er war nur kurz in die Geschäfte der Familie involviert, studierte dann Jura, engagierte sich 1884 im Wahlkampf des Demokraten und späteren US-Präsidenten Grover Cleveland und wurde drei Jahre später Botschafter in Konstantinopel. 1902 wurde er zum Mitglied des Ständigen Schiedsgerichtshofes in Den Haag ernannt und von 1906 bis 1909 war er Wirtschafts- und Arbeitsminister unter Theodore Roosevelt und damit der erste Jude in einem US-Kabinett. 1909 ging Oskar Straus noch einmal für ein Jahr als Botschafter in die Türkei und setzte sich dort für die verfolgte christliche und armenische Minderheit ein; unter anderem erreichte Straus, das 50 zwangsweise geschlossene christliche Schulen wieder geöffnet werden durften. Nach seiner Rückkehr und Pensionierung war er weiter Mitglied in diversen Ausschüssen, hielt Vorlesungen über internationales Recht in Yale und Harvard und befasste sich bis zu seinem Tod mit der Geschichte der Juden in den USA und auf der iberischen Halbinsel. An der Stadthalle in Ottersberg wurde zu seinem 90. Todestag 2006 ein Denkmal für Oskar Straus eingeweiht.
Bruder Nr. 3, Nathan Straus (1848–1931), war wiederum konkurenzlos in seinen philanthropischen Aktivitäten. Zusammen mit seiner Frau Lina setzte er sich schon sehr früh, in den 1880er Jahren, für Arme und Obdachlose und die Verbesserung der Gesundheitsversorgung ein. Nathan nutzte seinen Reichtum und seine politischen Einfluss als Präsident des New York Board of Health, um Programme u.a. gegen Kinderkrankheiten und Tuberkulose zu finanzieren und er eröffnete die erste subventionierte Arbeiter-Cafeteria und ein alternatives Hotel in Lakewood, New Jersey, als Gäste von anderen Hotels abgelehnt wurden, weil sie Juden waren.
Nathans Einsatz für die Juden im Mandatsgebiet Palästina begann 1904, als er mit seiner Frau zum ersten Mal dorthin reiste und von da an auch hier große Projekte im Bereich Gesundheit, Bildung und Armenversorgung finanzierte. Er ließ in Jerusalem Suppenküchen einrichten und während des Krieges 1915 ein Schiff voller Lebensmittel nach Haifa fahren. In den USA hatte er schon seit Anfang der 1880er Jahre gegen den heftigen Widerstand von Milchbauern und Politikern enorm viel Energie und Geld in die Verbreitung der Pasteurisierung von Milch gesteckt, was vermutlich zehntausende Menschenleben gerettet hat und vorbildhaft für die westliche Welt wurde. Solche Gesundheitszentren und Milchverteilungsstationen ließ er nun auch in Palästina einrichten. Wie man in alten deutsch-jüdischen Zeitungen lesen kann, spendete er in den 1910er-Jahren Milchpasteurisierungsinstitute ebenso für Heidelberg und Karlsruhe.
Anfang 1912 reisten Nathan und Lina wieder nach Palästina, und im April sollte Nathan die USA bei einem internationalen Tuberkulose-Kongress in Rom vertreten. Hier erfuhr er, dass sein Bruder und seine Schwägerin bei dem Untergang der Titanic gestorben waren und erlitt einen Schock. Weil er sich außerstande sah, in einer öffentlichen Versammlung zu sprechen, schrieb er der Jahresversammlung der amerikanischen Zionisten, er war ihr Ehrenpräsident, nach seiner Rückkehr einen Brief: Er habe eine „Fülle an neuen Plänen für das Wohl des Heiligen Landes“, aber seine Nerven seien infolge der Katastrophe derart angegriffen, dass er unfähig wäre, sofort ans Werk zu gehen…
Nathan Straus erholte sich und spendete nach Isidors Tod – den er als Fingerzeig verstanden hatte – zwei Drittel seines Vermögens dem zionistischen Kolonisierungsprojekt und der Schaffung einer neuen Stadt. Deren Gründer haben sie nach ihm benannt: Nethanya.
Als der Ehrenbürger New Yorks 1931 starb, kondolierte der US-Präsident Herbert Hoover mit den Worten: „Durch den Tod von Nathan Straus ist unserem nationalen Leben eine verehrungswürdige Gestalt entrissen worden… ein Führer der Judenheit, dessen Vision von hilfsbereiter Menschenfreundlichkeit über alle nationalen und konfessionellen Grenzen hinausging.“
