Ein Pfälzer, die Flaschenpost und der Südpol

Prof. Dr. Georg Balthasar Neumayer, seit 1900 Ritter von Neumayer, war einer der führenden Geophysiker, Hydrographen und Polarforscher seiner Zeit.

Georg wird am 21. Juni 1826 im pfälzischen Kirchheimbolanden geboren. Der Sohn des Notars Johann Georg Neumayer aus Straubing und seiner Frau Maria Anna Hermann aus Wörth am Rhein ist abenteuerlustig und wissensdurstig – und wird es sein Leben lang bleiben. Nach der Schulzeit in Frankenthal und Speyer studiert er Geophysik und Hydrographie in München und assistiert am physikalischen Institut und an der Bogenhausener Sternwarte. Doch die Theorie reicht Georg Neumayer nicht. Er will in die Welt hinaus und mit eigenen Auge sehen, was sie zusammenhält. Aber sowohl die deutsche als auch die österreichische Flotte lehnen die Bewerbung des Studenten ab. Also beschließt der hartnäckige junge Mann zur Handelsmarine zu gehen, reist mit der Bark „Louise“ nach Brasilien und erwirbt anschließend an der Navigationsschule in Hamburg das Steuermannspatent. Nachdem er auch noch sein Studium mit dem Doktortitel abgeschlossen hat, heuert er 1852 als Seemann auf der Brigg „Reiherstieg“ an. Die fährt im Linienverkehr an das andere Ende der Welt, da wo der 26jährige hin will: nach Australien. Als das Schiff nach vier Monaten in Sydney anlegt, macht sich die gesamte Mannschaft von Bord. In Australien ist der Goldrausch ausgebrochen. Neumayer versucht sich zwar ebenfalls beim Goldschürfen, ist aber nicht sonderlich erfolgreich und tut bald das, was er besser kann und was ihn hier wirklich interessiert. Während er seinen Unterhalt als Lehrer für deutsche Auswanderer verdient, erkundet er in der verbleibenden Zeit das Landesinnere, misst Erdmagnetismus, Strömungen und Winde. Er würde in Melbourne gern ein geophysikalisches Observatorium errichten, um die magnetischen Verhältnisse am Südpol zu erforschen und neue Seewege zu finden. Aber dazu fehlt ihm das Geld.

Neumayer kehrt nach Deutschland zurück. Er wirbt für sein Pläne vor und findet offene Ohren bei namhaften Gelehrten – Alexander von Humboldt, Michael Faraday und Justus von Liebig, dem Präsidenten der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Dessen Empfehlung bewegt König Maximilian II. schließlich dazu, Neumayer die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Der Bayernkönig erhofft sich von den zu erwartenden Forschungsergebnissen eine Beschleunigung der Seeverkehrswege, die letztlich dem Handel zu gute kommen würde. Weitere Gelder kommen vom Hamburger Senat und der britischen Gesellschaft der Wissenschaften und nachdem Neumayer schnell noch die bayerische Rheinpfalz, Hamburg und Schleswig-Holstein erdmagnetisch vermessen hat, reist er Anfang 1857 wieder nach Australien und baut eine bereits vorhandene Beobachtungsstation in Melbourne zum Flagstaff-Observatorium für Geophysik, Magnetismus und Nautik aus, das er von 1859 bis 1864 auch leitet (und das bis heute besteht). In diesen Jahren legt Neumayer fast 18000 Kilometer zu Fuß oder per Pferd im Inneren des Kontinents zurück und sammelt unermüdlich Daten, richtet ein Netz von Beobachtungsstellen ein und vermisste geografische Punkte, wie Australiens höchsten Berg, den Mount Kosciusko.

In diese Zeit fällt auch Neumayers Idee, den Schiffskapitänen zur Erforschung der Wind- und Meeresströmungen vorbereitete Formulare mitzugeben, die sie, um Positionsangaben ergänzt, in Flaschen verkorken und über Bord werfen sollten. Der Finder wurde gebeten, das Formular mit Angabe der Fundstelle und Zeit zurückzusenden. Die erste Flaschenpost wird auf Anweisung Neumayers im Juli 1864 von Bord der „Norfolk“ in der Nähe von Kap Hoorn ins Meer geworfen und drei Jahre später an der australischen Küste bei Portland wieder gefunden. Sie hatte 8.532 Seemeilen (rund 15.800 Kilometer) zurückgelegt. Insgesamt lässt Neumayer im Laufe der Jahre 6500 Flaschen auf Reisen schicken. Etwa zehn Prozent kommen auch zurück, eine davon wird erst 2017 in Australien gefunden, beinahe 132 Jahre nach dem Beginn ihrer Reise.

Zurück in Deutschland plädiert der Wissenschaftler auf dem ersten deutschen Geographentag 1865 für die Gründung einer zentralen Forschungsstelle für Hydrographie und maritime Meteorologie und für eine Expedition zum Südpol. Für die Expedition findet er keine Mehrheit (die will lieber die Arktis erkunden), aber die Forschungsstelle wird befürwortet und so entsteht ein paar Jahre später die „Deutsche Seewarte“ in Hamburg, die Neumayer von 1876 bis 1903 dann auch leitet.

Zuvor war der umtriebige Forscher zum „Hydrograph in der Admiralität“ ernannt worden. In dieser Position gründet er das „Kaiserlich Erdmagnetische Observatorium“ in Wilhelmshaven und einige Fachzeitschriften, aber konzentriert sich vor allem auf sein Lieblingsgebiet: das südliche Polarmeer. Er braucht lange, um die Admiralität vom Nutzen einer Expedition ins ewige Eis zu überzeugen. 1874 ist es endlich soweit. Das Forschungsschiff „Gazelle“ bricht mit 336 Mann Besatzung zu einer zweijährigen Expedition nach den Kerguelen, einer Inselgruppe am Rande der Antarktis auf. Sechs zivile Wissenschaftler und ihre Helfer messen dort in eisiger Kälte monatelang alles, was sich messen lässt, beobachten Naturphänomene, Polarlichter und Tiere. 

Die Ergebnisse werden in Hamburg ausgewertet und Georg Neumayer wird in den folgenden Jahrzehnten unzählige Denkschriften verfassen und vor Kommissionen und auf Kongressen für die Weitererforschung des Südpols werben. Auch wenn die nächste deutsche Expedition dorthin erst 1901 startet, war Neumayer die ganzen Jahre über am Ball geblieben. Seit 1879 Vorsitzender der Internationalen Polarkommission ist er wesentlich am Zustandekommen des ersten Internationalen Polarjahres 1882/83 und des Antarktischen Jahres 1901 beteiligt. Als Direktor der Seewarte gibt er darüber hinaus hydrographisch-meteorologische Informationen für die Schifffahrt heraus, Küstenhandbücher mit der Beschreibung fremder Küsten und Häfen und beteiligt sich an der Entwicklung von neuen Messinstrumenten.

Erst 1903, mit 77 Jahren, geht Neumayer in den Ruhestand, kehrt in seine pfälzische Heimat zurück und lebt bis zu seinem Tod am 24. Mai 1909 bei seiner Schwester (er hat nie geheiratet) in Neustadt an der Weinstraße. Zu Lebzeiten wurde er noch mit dem Komturkreuz des Verdienstordens der Bayerischen Krone ausgezeichnet – und hieß damit „Ritter von Neumayer“. Aber auch seine Nachwelt ehrt ihn. Deutschland hat seine Forschungsstation in der Antarktis nach ihm benannt; geografische Punkte, ein Mondkrater, eine Rinderfarm und ein Ort in Australien sowie eine deutsche Schule tragen seinen Namen.

Und noch ein Lesetipp: Georg von Neumayer hat viele Forschungsreisen detailliert – lehrreich und teilweise recht unterhaltsam – beschrieben, weil er unter anderem hoffte, mit diesen Informationen anderen bei der Vorbereitung und Durchführung ihrer eigenen Reisen zu helfen. So erfahren wir beispielsweise auch, was bei der Expedition zum Kingua-Fjord 1882 auf dem Speisezettel der Mannschaft stand: „Nov. 8. Morgens: Cornedbeef, Kaffee und Butterbrot. Mittags: Grüne Erbsensuppe, gesalzenes Ochsenfleisch, Sauerkohl, Pudding mit Fruchtsauce. Abends: Perlgraupensuppe und Lapskaus, Thee. / Nov. 9. Morgens: Hummer, Kaffee und Butterbrot. Mittags: Linsensuppe, Kalbskarbonade mit jungen Erbsen und Carotten, Kartoffeln. Birnencompot. Abends: Marinirte Heringe, gebratener Seehund, Thee und Butterbrot. (…) Dazu jeden Tag eine halbe Flasche Rothwein und Sonntags eine Extra-Auflage von 4 Flaschen besseren Weins für 7 Mann.“

Neumayers ganzen Bericht gibt es online hier: http://www.projekt-gutenberg.org/neumayer/expedi1/titlepage.html

Abb. Georg von Neumayer, 1905; die erste Flaschenpost 1844­­

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