
Prof. Dr. Adolf Koch (1855–1922), ein fast vergessener Pionier der Zeitungswissenschaft. Die Daten zu Adolf Kochs Familie sind spärlich. Sein Vater Lazarus (1824–1892) wurde in Fußgönheim in Rheinland-Pfalz als Sohn von Isaak Koch und Barbara Reichenbach geboren, war Notariatsgehilfe und später »Rechtskonsultent« und muss vor 1852 nach Mutterstadt gekommen sein, da ihm seine Frau, die in Hüttersdorf geborene Vitalin Amalie Kahn (1829–1887) in diesem Jahr hier eine Tochter gebar: Emilie Sophie Koch (verheiratete Blum). Auch wenn Angaben über die Mutter Adolf Kochs fehlen, ist anzunehmen, dass die Emilies Mutter auch die von Adolf war, der drei Jahre später, am 10. März 1855, ebenfalls in Mutterstadt geboren wurde.
Adolf besuchte in Mutterstadt die Volks- und Lateinschule, wechselte dann nach Speyer ans Gymnasium und legte sein Abitur in Kaiserslautern. Nach dem Studium in Leipzig und Heidelberg promovierte er 1880, habilitierte sich 1884 für Geschichte und erlangte die Lehrberechtigung »venia legendi«. Doch Kochs Aussichten auf einen Lehrstuhl standen schlecht. Juden waren zwar seit ihrer formalen Gleichstellung in großer Zahl an die Universitäten gedrängt, wurden aber bei der Verteilung von Posten regelmäßig übergangen. Adolf Koch schlug sich erst als Privatdozent durch. 1888 war ihm der Titel Kustos der Universitätsbibliothek verliehen worden und er hatte vom Börsenverein den Auftrag bekommen, eine Geschichte des deutschen Buchhandels bis zur Neuzeit abzufassen (er gab aber nur den Vorschuss aus und beendete sie wegen Krankheit nicht). Ab 1889 hielt er als außerordentlicher Professor Vorlesungen in Geschichte ab. Nebenbei schrieb Koch für verschiedene Zeitungen, so für das »Heidelberger Tageblatt« und die »Kölnische Zeitung«, auch, weil er von der Universität schlecht und zum Teil gar nicht bezahlt wurde.
1895 begann Koch, ebenfalls gratis, mit fächerübergreifenden Vorlesungen zum Thema »Geschichte der Presse und des Journalismus in Deutschland«. 1897 ergänzte er sie um »Praktische Übungen zur Einführung in die Journalistik« zum Schreiben, Recherchieren und Redigieren, richtete dafür ein »Journalistisches Seminar« ein, veranstaltetet Exkursionen im In- und Ausland mit seinen Studenten und knüpfte internationale Kontakte. Vor allem auf dieser frühen dualen Art der Ausbildung und umfassenden Bildungsvermittlung, lange bevor die ersten Journalismus-Schulen entstanden, beruht Adolf Kochs Pionierleistung im Zeitungswesen. Während in den nächsten Jahren zahlreiche Verlegersöhne seine Veranstaltungen besuchten und seine Bemühungen, die universitäre Ausbildung von Journalisten zu etablieren im Ausland wohlwollend aufgenommen wurde, lehnte die Philosophische Fakultät 1902 einen Lehrauftrag für die Geschichte der Presse und des Journalismus ab. Die Heidelberger Elite verhielt sich ablehnend bis feindlich, kritisierte auch seine Art der Führung der Universitätsbibliothek und den Aufbau seiner »Journalistischen Bibliothek«. Adolf Koch führte dies, wohl zu Recht, auf einen antisemitischen Konsens bei seinen Kollegen und Vorgesetzten zurück.
Der Mann aus Mutterstadt war dabei kein einfacher Zeitgenosse und die wenigen überlieferten Zeugnisse und Klatsch-Berichte zu seinem privaten Umfeld sind widersprüchlich. Der Historiker Robert Davidsohn, der Vorlesungen bei Koch gehört hatte, schreibt in seinen Lebenserinnerungen: »Koch erwies sich als ein eigenartiger Pfälzer Typus. Klein, hässlich, mit etwas stechenden Augen hinter den Brillengläsern, voll von Kenntnis der örtlichen Verhältnisse, zumal all’ Dessen, was sich in Universitätskreisen zutrug, war er recht unterhaltend. Als Leiter der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek erfüllte er gewissenhaft seine Pflicht, sonst aber hatte er einen unbegrenzten Hang zum Nichtstun und zur Diskussion bei der Flasche Wein, die er mehr im Plural als in der Einzahl liebte.«
Und der Psychiater Alfred E. Hoche, der Koch ebenfalls in jungen Jahren kannte, beschrieb in seinen Memoiren wir folgt: »Sein zu kleines Körpergestell schloss oben mit einem runden, viel zu großen Kopfe ab, an dem das zimtfarbene Bartgestrüpp hier und da ein Stückchen Gesicht frei ließ. Der dreifache Fluch [nämlich »arm, hässlich und Jude zu sein«, so Hoche an anderer Stelle] hatte den sehr gescheiten, selbstbewussten Mann allmählich zu der eigentümlichen Abwehrhaltung geführt (…), mit grimmiger Selbstironie im Verkehr mit Menschen selber gleich die misslichen Bemerkungen zu machen, die man im Kopfe des Gegenüber keimen sieht.«
So sei er auch Zeuge geworden, wie Koch einmal die fassungslose Gastgeberin einer Gesellschaft mit den Worten begrüßt habe: »Ich danke Ihnen, gnädige Frau, dass Sie mich kleinen schmutzigen Juden auch eingeladen haben«, und er »pflegte sich vorzustellen: ,Mein Name ist Kolb; ich bin Jude, meine Vaterstadt ist Mutterstadt.«
Warum Koch sich »Kolb« nannte, ist nicht bekannt. Doch offensichtlich ist, dass er unter seinem Aussehen, der mangelnden Anerkennung und der Ausgrenzung der Uni-Honorationen litt, den allgegenwärtigen Antisemitismus sehr deutlich spürte und sich auf eine sarkastische Weise wehrte, die ihn noch mehr zum Außenseiter machte.
Dazu gehörte auch eine unglückliche Liebesgeschichte, die genüsslich in verschiedenen Versionen kolportiert wurde. Nach Robert Davidsohn hatte Koch sich wegen der unerwiderten Liebe zu einer »bereits angejahrten Dame« versucht zu erschießen und dabei ein Auge verloren. Laut Alfred E. Hoche hatte sich Koch sich hingegen in die Brust geschossen, nachdem die Angebetete, »eine 20 Jahre ältere Schauspielerin« seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte, was wohl die korrekte Version ist, da Hoche ihn danach auch im Krankenhaus besucht hatte. Bei der Frau handelte es sich wieder anderen Quellen nach um die Bremer Schauspielerin Pauline Krieg (1835–1907), die 1872 zu ihrem Vater nach Heidelberg gezogen war. Hoche schreibt auch: »Später ging er [Koch] »mit dem Rebus hausieren: ’Wer ist der größte Antisemit Heidelbergs? Der kleine Kolb, der hat sogar auf einen Juden geschossen.’«
Gesichert ist lediglich, dass Adolf Koch viel später, 1907, mit inzwischen 52 Jahren, Harriet Ludwig (geborene Am Ende *1874) geheiratet hat, laut Davidsohn, »eine nahrhafte Witwe«, laut anderen Quellen eine »Offizierswitwe aus Davos«, und laut »Heidelberger Gelehrtenlexikon« hatte Adolf Koch sogar einen Sohn. Weitere persönliche Angaben fehlen jedoch.
Nichtsdestotrotz waren Kochs Journalistik-Vorlesungen im Jahre 1911 die am meisten besuchten der Heidelberger Universität, was ihrer Originalität und der zunehmenden Bedeutung des Massenmediums geschuldet war. Doch 1913 beendet eine gerichtliche Auseinandersetzung mit dem berühmten Soziologen Max Weber – der sog. Heidelberger Professorenstreit – die Universitätslaufbahn Adolf Kochs.
1910 hatte auch der aus einer alten Heidelberger Honoratiorenfamilie stammende und bereits als Nationalökonom und Soziologe berühmte Max Weber begonnen, sich mit dem Zeitungswesen zu beschäftigen. Auf dem »Ersten Deutschen Soziologentag« hatte er eine »Enquête über das Zeitungswesen« vorgeschlagen, eine Kommission aus Pressetheoretikern und -praktikern, die sich einer umfassenden Untersuchung der Presse widmen sollte und er hatte auch gleich zehn geeignete Mitarbeiter genannt. Adolf Koch gehörte nicht zu den Auserwählten. Ob das mit seiner jüdischen Herkunft zu tun hatte, wie Koch mutmaßte, oder damit, dass Weber, für den Journalisten ohnehin »zu einer Art von Pariakaste« gehörten, nichts von einer eigenständigen Zeitungswissenschaft hielt und Koch ihm zu konservativ war, lässt sich nicht genau sagen.
Weber begann sich jedenfalls kurz danach in eine absurde Prozesslawine zu verstricken, die sich über fast zwei Jahre hinzog, landesweit die Tageszeitungen füllte und Adolf Koch zum eigentlichen Opfer hatte. Ein Dozent hatte Webers Frau als Vorsitzende der Heidelberger Ortsgruppe des »Bundes Deutscher Frauenvereine« angegriffen, anschließend behauptet, Weber würde sich hinter ihr verstecken, weil man eine Frau nicht zum Duell fordern könne und später den Streit mit dem Hinweis auf Webers »krankhafte Überreizung« für sich als beendet erklärt. Dann erschien jedoch ein Artikel, nach dem Weber unter Hinweis auf seine Gesundheit eine Duellforderung abgelehnt habe, die – vage formuliert – im Zusammenhang mit seinem Sexualleben und seiner kinderlos gebliebenen Ehe gestanden hätte. Andere Zeitungen verbreiteten die Gerüchte weiter. Weber dementierte, der Dozent dementierte, die Zeitung lehnte einen Widerruf und die Benennung ihres Informanten ab, und es kam zu einem Gerichtsverfahren, das mit einem Vergleich endete. Doch Max Weber, immer noch schwer gekränkt in seiner Ehre, bohrte weiter, bis er den Urheber der Gerüchte ausgemacht zu haben glaubte: Adolf Koch.
Weber, der mutmaßte, dass Koch sich habe an ihm rächen wollen, weil er ihn bei der Presse-Enquête übergangen hatte, schrieb ihm daraufhin einen hohntriefenden Brief, in dem er ihn seitenlang demütigte. Er selber habe ja gar nichts gegen ihn in der Kommission gehabt, doch »die auf diesem Gebiet erste deutsche wissenschaftliche Autorität« [gemeint ist Karl Blücher, der über die große Publizität Kochs erbost war] und die mit »bedeutenden Geldmitteln beteiligte hiesige Akademie der Wissenschaften«hätten eine Mitarbeit abgelehnt, wenn auch Koch beteiligt gewesen wäre. Außerdem habe Koch 1907 einen Nachruf plagiert, so dass Weber zu dem Schluss kommen müsse, »dass weder Ihr Benehmen in diesem erwähnten Falle, noch vollends Ihr Verhalten mir gegenüber mir irgendwie damit vereinbar erscheint, dass Sie an der hiesigen Universität angehende Journalisten heranzubilden sich für berufen erachten.« Das war eine offene Kriegserklärung, die Kochs gesamte Existenz bedrohte. Er verklagte Weber.
Vor Gericht hatte der »Underdog« Koch jedoch keine Chance gegen den berühmten Weber, seine rhetorischen Fähigkeiten und die »Zeugen«, die er auffahren ließ. Auch sie hielten sich nun schadlos an Koch und nutzten die Gelegenheit, dem unbequemen Kollegen eins auszuwischen. So warf ihm der Dekan der Philosophischen Fakultät vor, die Bezeichnung »Journalistisches Seminar« zu Unrecht benutzt zu haben, und Weber selbst behauptete gar, ein »Journalistisches Seminar« existiere überhaupt nicht, Koch habe lediglich »die Erlaubnis, ein Zimmer für Übungen zu benutzen«. Als Koch nach vier Verhandlungstagen endgültig klar war, dass er gegen seinen Kontrahenten nicht ankommen würde, nahm er die Klage zurück. Sein Ruf aber war ruiniert. Und das anschließende Disziplinarverfahren gegen ihn eigentlich nur noch eine Formalie. Man entzieht ihm die Lehrbefugnis, »weil er sich im Jahr zuvor«, so das Schreiben des Engeren Senats an das Kultusministerium vom 31. Januar 1913, gegenüber »Max Weber einer großen Illoyalität schuldig gemacht« und »2. durch Veröffentlichung eines Nekrologs über Kuno Fischer (…) ein Plagiat begangen« habe.
Adolf Koch blieb nichts, als Heidelberg nach fast 40 Jahren Wirkens zu verlassen. Er zog nach Berlin und nahm nur die von ihm aufgebaute »Journalistische Bibliothek« mit. Eine seinen Fähigkeiten entsprechende Anstellung fand er nie wieder mehr. Im ersten Weltkrieg schickte ihn die Reichsregierung nach Konstantinopel. Ab 1916 war er am Orientalischen Seminar in Berlin, und erlitt dort einen ersten Schlaganfall. 1920 kaufte er mit seiner Frau ein Haus in Dießen-Riederau am Ammersee, wo er am 24. November 1922 verstarb. Wo er begraben ist, ist unbekannt. Und auch aus der Reihe der Pioniere der akademischen Beschäftigung mit Presse und Journalismus wurde sein Name gründlich »getilgt« und taucht allenfalls noch in Nebensätzen oder als Fußnote auf.
2022, zum 100. Todestag Adolf Kochs, wurde nun jedoch eine Erinnerungsplakette für den fast vergessenen Pionier der Zeitungswissenschaften am Grab seines Vaters auf dem Jüdischen Friedhof in Mutterstadt angebracht.
