Papa Pong, Vater der Videospiele

Ralph Baer auf dem Lara-Games-Award 2009 in Köln.


Das als ur-amerikanisch geltende Videospiel hat sich ein jüdischer Flüchtling aus Deutschland ausgedacht. Alles, was heute „XBox“ oder „Playstation“ heißt, geht auf diesen Ralph Baer aus Pirmasens, und seine erste Spielekonsole „Brown Box“ mit dem Spiel „Ping-Pong“ zurück. Für sie ist er als „Papa Pong“ berühmt geworden, auch wenn er in seinem Leben viel mehr erfunden hat, das meiste aus Spaß am Spielen: die erste sprechende Fußmatte, einen Plüschteddy, der sich mit seinem gezeichneten Ebenbild auf dem Fernsehbildschirm unterhalten konnte, und das Memory-Spiel „Simon“, das unter dem Namen „Senso“ in den 1980er-Jahren in Deutschland ein regelrechtes Spielfieber auslöste und bei dem man sich eine vom Computer vorgegebene Farb- und Tonreihenfolge merken musste…


Der berühmte und viel geehrte Erfinder hieß nicht immer Ralph Henry Baer. Geboren wurde er als Rudolf Heinrich Baer am 8. März 1922 in Pirmasens in der Südpfalz. Sein Vater Leo stammte aus dem nahegelegenen Rodalben, die Mutter, Charlotte Laura Kirschbaum, aus Guben. Leo Baer diente im Ersten Weltkrieg unter anderem in der bayerischen Ersatzdivision im 18. Infanterieregiment. Als der Krieg vorbei war – seine Brüder, Hugo und Otto, waren gefallen – ließ Leo sich in Pirmasens nieder, wo es zu dieser Zeit über 60 Schuhfabriken gab, und eröffnete eine Gerberei. Das Ehepaar Baer bekam nach Rudolf (dem späteren Ralph) noch eine Tochter – Ilse (Jane). Ihr Gewerbe jedoch überstand die Wirtschaftskrise nicht und ging bankrott. 1924 zog die Familie nach Köln, wo Leo Baer nun als Handelsvertreter für die Schuhfabrikanten aus seiner Heimat deren „Pirmasenser Schlappen“ verkaufte. Sein Sohn ging in Köln zur Schule und wurde als Jude gezwungen, sie mit 14 Jahren zu verlassen. Er verrichtete Hilfsarbeiten in einem Büro, bis die Situation für Juden unerträglich wurde. Im August 1938, drei Monate vor der „Reichspogromnacht“, gelang es den Baers, mit Hilfe der Verwandten, die Charlotte Baer in New York hatte, auf der SS Nieuw Amsterdam über Rotterdam in die USA ausreisen. Leos drei Geschwister – Luise, Augusta und Eugenie – hatten weniger Glück. Sie wurden ermordet.

Nach ihrer Ankunft ließen sich die Baers in der Bronx nieder. Ralph war nun 16, arbeitete in der Fabrik seines Cousins und brachte für 12 US-Dollar die Woche Knöpfe an Kosmetik-Sets an. Schon hier zeigte er sein Talent für Erfindungen und Innovationen. Er veränderte die Maschine so, dass fünf oder sechs dieser Maniküre-Sets gleichzeitig genäht werden konnten.

Durch seinen erzwungenen Schulabgang war Ralph Baer in vielen Gebieten Autodidakt und bildete sich selbst weiter. Als ihm eines Tages eine Anzeige mit der Headline „Make Big Money in Radio and Television Servicing“ ins Auge fiel, investierte Baer 1,25 Dollar seines mageren Wochenlohns, um an dem in der Anzeige angepriesenen Fernkurs teilnehmen zu können. Er schloss den Kurs am National Radio Institute im Bereich Radio- und Fernsehwartung ab, kündigte seinen Fabrikjob und reparierte Radios und Fernseher in Manhattan. 1943 wurde er in die Armee eingezogen und wegen seines fließenden Deutsch dem Hauptquartier der US-Army in London zugeteilt. In seiner Freizeit brachte er sich Algebra bei, sammelte ausländische Waffen und schrieb sogar ein Buch über die Geschichte der Maschinengewehre.

1946 verließ Baer die Armee. Zurück in Amerika holte er sein Diplom nach und heiratete 1952 Dena Whinston, mit der er drei Kinder – James, Mark und Nancy – bekam. Er versuchte, sich selbstständig zu machen, arbeitete in verschiedenen Firmen und landete schließlich bei der Rüstungsfirma Sanders in New Hampshire. Dort stieg er schnell zum leitenden Ingenieur auf, hatte 500  Techniker und Ingenieure unter sich und entwickelte mit ihnen Abhörtechnik, Radiostörsender und Radarsysteme. Dabei hatte er etwas Freiraum, wie er einmal erzählte, und konnte hier und dort mal einige tausend Dollar für „funny business“ abzweigen. Das bestand darin, dass sich Baer in einem kleinen ehemaligen Bibliotheksraum im fünften Stock des Unternehmensgebäude oder in seinem Keller zu Hause verschanzte, um an amüsanteren Ideen zu tüfteln. Baer fand, vielleicht weil er Fernsehtechniker war, dass Fernseher, die nur zum Fernsehen taugten, langweilig waren und dass man sie doch auch interaktiv nutzen könnte, wenn es gelänge sie mit einer Spielekonsole zu verbinden. Zusammen mit den Schaltungsdesignern William Harrison und William Rusch begann Baer 1966 – anfangs ohne Wissen seiner Arbeitgeber – mit Relais und Transitoren zu basteln, Mikrochips gab es ja noch nicht. Bis der Prototyp in einer braunen Schachtel, die „Brown Box“, das erste Videospielsystem der Welt fertig war. Und mit ihm einige Spiele, unter anderem das aus  Baers Vor-Version „Table Tennis“ entwickelte „Ping Pong“: zwei Quadrate (die Schläger), ein drittes Quadrat (der Ball) und ein Drehknopf, mit dem man die Flugbahn des Balls beeinflussen konnte. Die erste Partie stieg am 11. November 1966. Und Baer machte sich auf die Suche nach Partnern. Er präsentierte das Spiel seinen Managern und überzeugte sie, dass sie mit Videospielen Geld verdienen könnten. Und sie haben Geld verdient, viel Geld! Sie ließen die Idee 1968 patentieren und verkauften eine Lizenz an den Fernsehgeräte-Hersteller Magnavox. Der baute Baers „Brown Box“ nach und nannte sie „Odyssey“.

Kurz darauf, 1972 kam das Spiel „Pong“ von Atari auf den Markt und wurde vom Chef der Fima, Nolan Bushnell, ebenfalls als erstes Videospiel beworben. Doch konnte Ralph Baer nach einem jahrelangen Rechtsstreit nachweisen, dass Bushnell die Idee bei ihm abgekupfert hatte. Denn der akribische Baer hob jedes Dokument auf, auch das Gästebuch der Demonstrationsveranstaltung, in das sich der Atari-Chef eingetragen hatte und das bewies, dass er „Odyssey“ ausprobiert hatte, bevor er begann, „Pong“ zu produzieren. Tatsächlich aber gab es schon vor der „Brown Box“ erste Bildschirm-Computerspiele – „Tennis for two“ von William Higinbotham (1958) und „Space War“ von Stephen Russel (1962) – aber die blieben Prototypen und wurden nie kommerziell  umgesetzt. 
Als Baer später gefragt wurde, wie es ihm gelungen sei, kommerziell erfolgreiche Heimvideospiele in einem Militärunternehmen zu entwickeln, witzelte er, es sei „ein Stück jüdischer Chuzpe“ gewesen, er habe es  einfach getan. 

2004 bekam „the Father of Gaming“, der inzwischen und auch im hohen Alter noch diverse andere „funny things“ erfunden hatte und 150 Patente hielt, von Präsident George W. Bush die nationale Medaille für Technologie und Innovation für „seine bahnbrechende und wegweisende Entwicklung und Vermarktung interaktiver Videospiele“ überreicht und schließlich noch einen Eintrag in der National Inventors Hall of Fame.

Sein Geburtsland wollte Ralph Baer jahrzehntelang nicht betreten, zu viele seiner Verwandten waren hier ermordet worden. Erst 2006, mit 84 Jahren, wagte er mit „mixed feelings“ den ersten Besuch, er wurde Schirmherr des Berliner Computermuseums und übergab im Jahr darauf dem Technikmuseum „Dynamikum“ in seiner Geburtstadt Pirmasens einen Nachbau seiner berühmten „Brown Box“.

Ralph Baer starb im Alter von 92 Jahren am am 6. Dezember 2014 in seinem Haus in Manchester, New Hampshire.

 
Fotos: 

(bei den Fotos von Baer im Internet bin ich mir nicht sicher mit den Nutzungsrechten, daher das aus Wikipedia)


_Ralph Baer 2009 (Wikipedia, Urheber: Michael Schilling)
_Die Eltern von Ralph Baer: Leo und Charlotte
_Registrierung Familie Baer bei der Einreise in die USA

 

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