
Am 11. Juli 1873 Tage strandete der Hamburger Schoner „R. I. Robertson“ auf der Fahrt von China nach Australien nach einem Taifun auf einem Riff in der Nähe der Insel Typinsan (heute: Miyakojima). Die Überlebenden wurden am folgenden Tag von Bewohnern Typinsans gerettet, die ihnen ein Schiff schenkten, damit sie heimkehren konnten. Einer der Überlebenden, der Kapitän der „Robertson“, war Eduard Hernsheim. Sein Schiffbruch war der Auslöser für seine kommenden Aktivitäten. Zusammen mit seinem Bruder Franz sollte er bald eine Pionierrolle bei der Kolonialisierung und für den Handel in der Südsee spielen…
Franz (1845–1909) und Eduard (1847–1917), die noch zwei Schwestern hatten, wurden in Mainz als Söhne des aus Mannheim stammenden jüdischen Rechtsanwaltes Ludwig Hernsheim und seiner aus Amsterdam stammenden Frau Sophie Mendes geboren. Beide besuchten das Gymnasium in Mainz. Franz absolvierte anschließend eine kaufmännische Ausbildung in Le Havre und ließ sich 1864 als Kaufmann in Mexiko nieder. Eduard begann eine landwirtschaftliche Ausbildung in der Nähe von Aschaffenburg, verlor dann aber die Lust und ging nach Hamburg, um Seemann zu werden. 1867 bekam er sein Steuermannsexamen, bald auch das Kapitänspatent und kaufte sein erstes Schiff, die „Courier“, mit der er Ladungen nach Lateinamerika verschiffte. 1872 verkaufte ihm sein Schwager Nathaniel Robertson (Eduard war dreimal verheiratet und hatte einen Sohn, Franz blieb kinderlos) die „Robertson“, mit der er dann Schiffbruch erlitt.
Eduard Hernsheim kehrte gar nicht erst nach Deutschland zurück, er besorgte sich in Singapur sofort einen neuen Segler, begann, die verschiedenen Inseln der Südsee zu befahren und einen Handel mit Schildpatt, Guttapercha und Kopra aufzubauen. Zuvor hatte er mit mäßigem Erfolg Seegurken nach Hongkong importiert, aber das Kopra wurde zum Renner. Denn aus dem getrockneten Kernfleisch der Kokosnüsse wurde in Europa Öl gepresst und als geruchsfreier Brennstoff für Lampen und die Herstellung von Seifen und Kerzen war es ein außerordentlich begehrter Artikel für das aufstrebende Bürgertum und die jungen Industriewirtschaft.
Eduard holte seinen Bruder Franz aus Mexiko zurück und beide gründeten in Hamburg die Handelsfirma „Hernsheim & Co“. Franz war vorwiegend für die Finanzen zuständig und Eduard war der Praktiker, der sich ständig in der Südsee aufhielt und mit großer Ausdauer alle Hindernisse aus dem Weg räumte – vom Klima, über Feindseligkeit der Eingeborenen bis zur Konkurrenz der Holländer, Engländer und Spanier.
Hauptstützpunkte der Hernsheims waren die Insel Matupi und Jaluit und 1879 wurde Franz dort zum Honorarkonsul des Deutschen Reiches ernannt. Nachdem er aus Gesundheitsgründen 1882 nach Hamburg zurückgekehrt war, wurde Eduard Konsul in Jaluit. 1887 vereinten sich die Hernsheimschen Firmen mit der „Deutschen Handels- und Plantagengesellschaft“ zur „Jaluit- Gesellschaft“, an deren Spitze Franz trat.
„Jaluit“ weitete die Sphäre ihres Handels in den darauffolgenden zwanzig Jahren auf die gesamte Südsee aus und gründete mehr als 90 Handelsstützpunkte und Niederlassungen. In der Blütezeit ihres Südsee-Geschäftes exportierten die Brüder fast 30 Prozent der im westlichen Stillen Ozean produzierten Kopra. Um ihr Monopol zu behaupten und die vorteilhafte Stellung gegenüber den englischen und australischen Händlern auszubauen, hatte Eduard Hernsheim schon Mitte der 1870er-Jahre beim Außenministerium um die Erlaubnis gebeten, die deutsche Flagge auf den Marschall-Inseln hissen zu dürfen. 1884 erteilte Wilhelm I. den Schutzbrief für den Pazifik und bis 1906 verwalteten die Firmen der Hernsheims die Marschall-Inseln und ab 1899 auch die von Spanien abgekauften Karolinen.
Die Karriere der Hernsheim-Brüder ist zugleich ein beispielloses Zeitbild deutscher Kolonialbestrebungen in der Südsee, denn anders als im Fall von Afrika, ist über die deutschen Kolonien bzw. Schutzgebiete im westlichen Pazifik sonst wenig bekannt. Im Gegensatz zu den sonstigen Interessensvertretern der Kolonialpolitik setzten sich die Brüder jedoch gegen den auch in der Südsee gern praktizierten Menschenhandel mit Insulanern zwecks Zwangsarbeit auf Plantagen ein, setzten stattdessen auf einen einvernehmlichen Verkehr mit ihnen und plädierten angesichts der Folgen für die Einwohner zum Beispiel für ein Verbot der Einfuhr von „Branntwein und Feuerwaffen“ als Tauschwaren.
Anders auch als die meisten Kolonialherren hatten beide Brüder großes Interesse an der Kultur der Eingeborenen und betrieben anthropologische und lingustische Studien. Franz veröffentlichte u.a. sprachwissenschaftliche Aufsätze und seine Südsee-Erinnerungen mit eigenen Zeichnungen. Und Eduard Hernsheim, der auch wegen seines Einfühlungsvermögens in die Gedankenwelt der Insulaner und seiner Sprachkenntnisse bis hin zu melanesischen Dialekten so erfolgreich war, gehörte zu den ersten Sammlern von Kunst und Kunsthandwerk von den Fidschiinsel, aus Neukaledonien oder aus Papua Neuguinea, von denen sich etliche Stücke heute in deutschen Museen befinden.
_Abb.: Eduard und Franz Hernsheim 1882; Illustration aus Franz Hernsheims Südsee-Erinnerungen
