Eine jüdische Bankerin im Mittelalter 


Wie sie aussah und wann und wo genau sie geboren wurde, ist nicht bekannt, genauso wenig wie ihr Geburtsname. Die Frau, die als Reynette von Koblenz in die Geschichte eingegangen ist, war die bedeutendste Kreditunternehmerin des späten 14. Jahrhunderts im Rheinland. Ihre Wiederentdeckung und Würdigung ist vor allem den akribischen Recherchen des Historikers und Archivars Franz-Josef Ziwes zu verdanken.

Wegen ihres romanischen Namens nimmt man an, dass Reynettes Familie aus Frankreich stammte, aus dem die Juden 1306 aus­ge­wie­sen worden waren. Aber auch Münstermaifeld, wo sie zum ersten Mal erwähnt wird, hatte zu der Zeit schon seit Generationen eine jüdische Gemeinde. Die wurde bei den Pogromen, die der Pest von 1348/49 folgten, ausgelöscht. Reynette, die um 1340 geboren wurde, und ihr späterer Ehemann Lewe (Leo) von Münstermaifeld müssen zu den wenigen Überlebenden gehört haben. Lewe ist in dort je­den­falls erst­mals 1355 als Ju­de des Trie­rer Erz­bi­schofs nach­ge­wie­sen und drei Jahre später als sein Verleiher. Bekanntlich durften im Mittelalter nur Juden mit Geld handeln, während ihnen die meisten anderen Berufe verboten waren. Und Lewe war ein wichtiger Geldverleiher, der mit seinen Krediten vor allem die extrem verschuldete Stadt Andernach bediente. So gibt es eine Urkunde von 1358, nach der Johann, Sohn des Quetschpenning, und Matthias von Augst ihm 120 alte Schildgulden schuldeten, Frau Kunigunde von Isenburg hatte hingegen drei Silberschalen, einen Silberbecher und einen Silberlöffel bei ihm versetzt.

We­nig spä­ter zog das Ehe­paar nach Ko­blenz. Be­reits im März 1361 ge­währ­te Lewe als Ko­blen­zer „Ju­den­bür­ger“ der Stadt An­der­nach ei­nen Kre­dit von 200 Gul­den und erwarb bis zu seinem Tod über ein Dutzend Schuldverschreibungen der Stadt, denen im ­sel­ben Zeit­raum nur fünf An­lei­hen anderer Geldgeber ge­gen­über standen.

Als Lewe um 1366 starb, übernahm Reynette die von ihm geerbten Schuldscheine und seine Geschäfte und baute sie beträchtlich aus. Sie ist kein Einzelfall, aber mit ihrer besonderen Tüchtigkeit doch so ungewöhnlich, dass sie bis heute historische Beachtung findet. Er­werbs­tä­ti­ge Jüdinnen gab es schon früher (Hebammen, Ärztinnen, Weberinnen usw.), aber im 14. Jahr­hun­dert ge­wann der Be­ruf der Geld­händ­le­rin an Be­deu­tung und in man­chen deutschen Städ­ten betrug der Frauenan­teil un­ter ihnen über ein Vier­tel, was auch im Zusammenhang mit Änderungen im jü­di­schen Erb- und Ehe­recht steht, die wie­der­um ei­ne Re­ak­ti­on auf die unsichere Situation der jüdischen Minderheit generell und von Frauen und Witwen im Speziellen war. Reynet­te jedenfalls nutzte die neuen Chancen kon­se­quent und über­aus er­folg­reich.

Bereits 1369 war sie als erste Koblenzer „Bankerin“ in der Lage, einen Kredit von 1000 Gulden zu vergeben. Die Andernacher standen zu der Zeit mit 1600 Gulden bei ihr in der Kreide und drei Jahre später bereits mit 8000 Gulden. Kein an­de­rer rhei­ni­scher Ju­de wä­re da­mals in der La­ge ge­we­sen, ei­ne der­ar­ti­ge Sum­me auf­zu­brin­gen, und der Stadt drohte Zahlungsunfähigkeit, die vermittels eines Beauftragten des Trierer Erzbischofs abgewendet wurde. Statt der Tilgungsraten in bar akzeptierte Reynette, dass die Bürger ihre Schulden mit Naturalien abtragen, die sie dann weiterverkaufen konnte. So lieferten sie ihr im März 1373 als Rate beispielsweise Wein im Wert von 1000 Gulden und brachten zur Sicherung der Darlehen auch Rüstungen, Waffen, Schmuck, Anteile an Zolleinkünften oder Immobilien als Pfand ein. 

Nachdem Reynette nach dem Tod ihres ersten Mannes versucht hatte, ihre Tochter Mede (Meide) – wohl aus taktischen Gründen – mit dem Rabbiner Jakob Bonefant („Gutkind“) zu verkuppeln, die sich aber weigerte und das Weite suchte, heiratete sie seinen Sohn Moisse (Moses), der ebenfalls Geldverleiher, aber weniger risikofreudig war. An größere Transaktionen traute er sich nur mit seiner cleveren Frau zusammen heran. Dennoch war sie offiziell ihren männlichen „Kollegen“ nicht gleichgestellt, hatte kein eigenes Siegel und be­nutz­te die Sie­gel ih­rer Ehemänner. Doch Moses muss der Geschäftsfähigkeit seiner Frau getraut und ihre Bedeutung erkannt haben. In einer überlieferten Urkunde nennt er sich „Ich Moisse, Reynetten Mann“.

Im Lauf der Jahre vergrößerte Reynette das Vermögen derart (auch infolge der damals üblichen horrenden Jahreszinsen von 40 bis 70%), dass sie eine ausreichende Kapitalbasis besaß, um sich größeren Kunden zuzuwenden und ihre Position im Rheingebiet weiter ausbauen konnte. In Koblenz gingen über 45% aller jüdischen Kreditgeschäfte auf ihr Konto, bei den Spitzendarlehen waren es sogar zwei Drittel. Jedermann war auf ihre Mittel angewiesen und so zählten neben Bau­ern und Bür­ger Stadt­ge­mein­den, Ade­li­ge, Ritter, Kleriker und Reichs­fürs­ten zu ihren Kunden. 


Bis in die 1380er Jahre blieb Reynet­te die Hauptdarlehensgeberin on Andernach, hatte das Schwer­ge­wicht ih­rer Ak­ti­vi­tä­ten aber in­zwi­schen rhein­auf­wärts ver­la­gert, wo sie mit dem Gra­fen Adolf von Nas­sau ei­nen Ge­schäfts­part­ner gewann, der Main­zer Erz­bi­schof werden wollte (und auch wurde) und der dau­ernd Bargeld brauchte. So dass Reynet­te Bonenfant auch hier tausende Gulden investieren konnte und als Sicherheit die Einnahmen des Mainzer Zolls aus Oberlahnstein erhielt.

Ihre Tochter Mede kehrte erst 1390, in­zwi­schen mit Lie­ser von Straßburg ver­hei­ra­tet, nach Koblenz zu­rück, wohl in Er­war­tung der Erb­schaft ih­rer Mut­ter. Die erz­bi­schöf­li­chen Auf­la­gen für das Er­be wollte sie dann aber doch nicht ak­zep­tieren, ver­zich­te­te auf ih­re An­sprü­che und zog nach Köln und spä­ter Bin­gen. Ihr Ehe­mann trat nach dem To­de Reynettes 1397 für sich und die noch un­mün­di­ge Toch­ter Trin­lin das Er­be sei­ner Schwie­ger­mut­ter an, konn­te an deren Leis­tun­gen aber in kei­ner Wei­se an­knüp­fen. Mit Reynet­tes Tod war die kurze Blü­te­zeit der zwei­ten Ko­blen­zer Ju­den­ge­mein­de vor­bei. Weder vor noch nach ihr spielte eine Koblenzer Jüdin jemals wieder eine derart herausgehobene wirtschaftliche Rolle.

(Es gibt kein Bild von Reynette, die Darmstädter Pessach-Haggada zeigt uns zumindest, wie jüdische Frauen zu ihrer Zeit in etwa ausgesehen haben.)

Hinterlasse einen Kommentar