
jean cocteau *5.juli 1889 – dichter, maler, regisseur und universalgenie – sah sich in erster linie als poet und hat, da ihm sein kindermädchen josephine ebel deutsch beigebracht hatte, auch in dieser sprache kleine gedichte versucht:
Blut
Wir haben mehr Blut als wir denken.
So schnell macht die Liebe nicht tot!
Viel Schmerzen kann uns die Liebe schenken,
Unser Blut aber bleibt noch sehr lange rot.
Und wenn wir gar kein Blut mehr haben,
Wenn man uns in die Grüfte tut;
Und sind wir noch so lang vergraben,
Für Schmerzen bleibt noch etwas Blut.
das ist eine von klaus mann 1934 in seiner exilzeitschrift „die sammlung“ abgedruckte korrigierte version des gedichts. amüsant und irgendwie auch berührend find ich, dass cocteau selbst die gedichte ursprünglich genau so aufgeschrieben hat, wie er die sprache seines kindermädchens phonetisch verstanden hatte und dass er mit rechtschreibung und grammatik etwas haderte:
Blüht
Vir haben mehr blüht als vir denken
Schnell ist mann nich wön liebe tot
Fiel schmerze kann uns liebe schenken
Aber unser blüt bleibt so roth…
oder dieses (unvollendete) gedicht:
Ein weiteres Debüt für die Luft Kind
Ohne Gesicht, schnell wie der Wind
Ein Reuber kommt und stehlt ein Kind
Wenn die Mutter sucht und schreit
Ist der Reuber lange weit…
in einem andere handschriftlichen gedichtfragment – „strafe“ (betr. einen lover cocteaus) – erfahren wir auch etwas von der ambivalenz, deutsch zu schreiben:
Als ich schmerze wo du schläfst
Deutsch schreiben ist die beste Strafe
Morgen bleibst du allein mit deinen Französisch
So bleibst du auch allein mit deinen Französisch
oder hier, zwei (angefangene) deutsch-französisch-mix-gedichte:
Les ennemis de mon amour
Aber Stärkigkeit hab ich keine
Wenn deine Füsse, deine Beine,
Dich conduise in eine Welt
Wo die Sonne ist nur das Geld.
L’égoïste
Hast du nur ein wenig Weh
So denkst du nicht mehr an die Liebe
Et moi quel mal devrai-je éprouver vers biffé
Rien de doux n’est plus arrivé*
Ah! Es ist besser das in Deutsch zu schreiben
*in einer anderen version: „nichts weiches mehr in deiner seele“
einige deutsche verse hat cocteau seinem freund kurt weill zukommen lassen und sich wie schon bei klaus mann für diese „enfantillages“ (kindereien) entschuldigt: „mein lieber kurt, ich erinnere mich nur noch an das deutsch meiner kindheit. leider kenne ich eure dichter nicht. ich wurde mit erlkönig und struwelpeter erzogen. entschuldigen sie also, dass ich ihnen diese naiven gedichte offeriere. ihre einzige entschuldigung ist, dass sie ihnen gefallen haben. jean“ (original: „Mon cher Kurt, Je ne me rapelle que l’allemand de mon enfance. Hélas, je ne connais pas vos poètes. Je suis formé par Erlkönig et par Struwelpeter. Pardonnez-moi donc de vous offrir ces poèmes naïfs. Leur seule excuse, c’est de vous avoir plu. jean“). – das gefallen bezieht sich wohl auf folgendes gedicht, das cocteau kurz davor weill gezeigt hatte, woraufhin der es sofort in korrektes deutsch korrigiert und vertont hat:
Es regnet
Ich frage nichts.
Ich darf nicht fragen,
Denn du hast mir gesagt: „Frage nicht!“
Aber kaum höre ich deinen Wagen.
Denke ich: Sagen, oder nicht sagen?
Er hat alles auf dem Gesicht.
Glaubst du denn daß nur der Mund spricht?
Augen sind wie Fensterglas.
Durch alle Fenster sieht man immer,
Schließt du die Augen ist es schlimmer.
Meine Augen hören etwas,
Etwas anderes meine Ohren.
Für Schmerzen bin ich denn geboren.
Laß mein Gesicht am Fenster, laß;
Die Sonne darf jetzt nicht mehr scheinen!
„Es regnet“, sagt das Fensterglas.
Es sagt nur was es denkt!
Laß uns zusammen weinen…
…zusammen weinen…
