Domerys Appetit

charles domery ist nur für eine einzige sache bekannt geworden – seinen unstillbaren appetit.
mit 13 jahren war der als karol domerz geborene sohn einer kinderreichen polnischen bauernfamilie in die preußische armee gegen frankreich eingetreten, hat dann aber, als den preußen die nahrungsmittel auszugehen begannen und obwohl man seine ration schon verdoppelt hatte, die seiten gewechselt.
der appetit des heranwachsenden nahm im französischen dienst jedoch noch zu. er bekam bald mehr zu essen als alle anderen, kaufte von seinem sold zusätzliche lebensmittel und litt trotzdem unter hunger. nach den aussagen eines mitsoldaten soll domery in dem armeelager bei paris, wo beide stationiert waren, so in einem jahr 174 katzen und jeden tag kiloweise gras verspeist haben, wenn er nichts anderes essbares fand. und während seines dienstes auf dem französischen schiff „hoche“ musste ihm seine kameraden, wie berichtet wird, gar noch das von einer kanonenkugel abgetrennte bein eines matrosen entreißen, an dem er schon herumgenagt hatte.
1799 wurde das schiff von den briten gekapert und die besatzung in liverpool interniert. die wachen waren von domerys appetit schockiert und setzten seine ration immer weiter hoch, bis er schließlich so viel wie zehn gefangene pro tag bekam. domery blieb hungrig. er soll die medikamente der häftlinge aus der krankenstation, die ersatzkerzen im kerker, die gefängniskatze und mindestens 20 ratten, die sich in seine zelle verirrt hatten, gegessen haben.
der gefängniskommandant hat daraufhin die komission, die u.a. für das wohlergehen der kriegsgefangenen zuständig war, auf den ungewöhnlichen gefangenen aufmerksam gemacht. ein dr. johnston und ein dr. cochrane wurden beauftragt, den armen charles zu untersuchen. sie beschrieben ihn als einen intelligenten, normal gebauten, für die damalige zeit sehr großen mann (1,91 cm) mit langen braunen haar, glatter haut, einem „angenehmen gesicht“ und einem intakten magen, der äußerlich keinerlei anzeichen einer geistigen oder sonstigen erkrankung aufwies, dessen leibspeise rohes fleisch und stierleber war und der gemüse verabscheute, aber unmengen kartoffeln oder rüben verschlang, wenn nichts anderes da war.
in dem artikel, den die ärzte 1799 im „medical and physical journal“ veröffentlichten, berichteten sie auch über ein experiment, mit dem sie dem hunger ihres patienten auf die spur kommen wollten. sie stellten ihm zwischen 4 uhr morgens und 13 uhr dreimal lebensmittel vor die nase, die er schnell und vollständig aufaß – insgesamt zwei kilo rohe kuheuter, fünf kilo rohes rindfleisch und 15 große talgkerzen; dazu vier große flaschen porter.
domery musste in dieser gesamten zeit weder zur toilette, noch sich erbrechen, sein puls blieb regelmäßig, seine hauttemperatur konstant, und als er nach dem ende des experiments in sein quartier zurückkehrte, war er laut seiner zellengenossen „besonders gut gelaunt“ und tanzte…
die ursache für domerys unglaublichen appetit (möglicherweise ein anormaler blutzuckerspiegel oder eine seltene hirnanomalie) haben die ärzte nicht herausgefunden. sie konnten ihm wohl auch nicht helfen. zumindest ist nicht bekannt, was weiter aus ihm geworden ist.
interessant ist aber noch etwas anderes: so gut wie alle berichte über den fall sind mit der abbildung illustriert, die ich hier auch verwende. sie ist jedoch fast 100 jahre vor den beschriebenen ereignissen entstanden. auf der suche nach einem hochaufgelösten exemplar ist mir nämlich zufällig das original untergekommen. es hat am unteren bildrand einen deutschen text (der sonst überall abgeschnitten ist), und der besagt, dass hier ein vielfraßiger böhmischer bauernsohn zu sehen sei, der nach glaubwürdigen augenzeugen nicht nur rohes fleisch, katzen, filz usw, sondern im gegenwärtigen jahr 1701 in böhmen auch zwei kinder bei lebendigem leibe gefressen habe (und sein genauso vielfraßiger zwillingsbruder in prag einen juden). da die einzige seriöse quelle zum fall gomery der bericht seiner ärzte ist, ist gut vorstellbar, dass seine geschichte im nachhinein mit details aus diesem deutschen „menschenfresser-märchen“ aufgepeppt wurde, um sie noch ein bisschen blutrünstiger zu machen.

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