Goldie, di schwartze chasente

„goldie, di schwartze chasente“, die erste schwarze kantorin.

ankündigung eines ihrer auftritte: „ihr leben liest sich wie eine geschichte aus 1000 und einer nacht. goldye, die farbige kantorin, eine der schönsten frauen afrikas, wurde in abessinien geboren. einmal traf sie ein stammeshäuptling in den minen, und als er sie singen hörte, war er so überwältigt, dass er sie nach mailand schickte, um ihre stimme zu kultivieren. goldye ist ein mitglied des jüdischen stammes, der als ‚sheba von gza‘ bekannt ist. nachdem goldye von ihrem studium in italien zurückkehrte, sang sie auf einer konzertbühne in afrika und in der synagoge ihres eigenen volkes. goldye singt in sechs sprachen – hebräisch, jiddisch, russisch, deutsch, französisch und englisch. goldye ist sprachwissenschaftlerin, dichterin und komponistin. jetzt besucht sie zum ersten mal amerika für konzerte, die noch nie zu hören waren.“ („the jewish criterion of pittsburgh“)

gute werbung ist alles! außer der hautfarbe der protagonistin stimmt an dieser geschichte so gut wie nichts. sicher ist nur, dass die afroamerikanerin, die sich goldie oder goldye mae steiner nannte, in den 1920/30er-jahren tatsächlich mit liturgischen jüdischen liedern als „chasente“, kantorin, auftrat (wobei offiziell erst in den 1970ern erstmals frauen ordiniert wurden), vor allem aber in der jiddischsprachigen theaterszene new yorks unterwegs war.

bis auf ihre auftritte ist sehr wenig zu „goldye mae steiner“ belegbar, weder ihre tatsächliche herkunft noch ihr späteres leben. shahanna mckinney-baldon, eine aktivistin in punkto ethnische vielfalt in der amerikanischen jüdischen gemeinschaft, die sich auf spurensuche gemacht hat, glaubt, dass sie identisch ist mit einer gladys mae sellers, die 1889 in milwaukee/wisconsin geboren wurde und seit etwa 1914 im mittleren westen in diversen musik-sparten auftrat, u.a. bei großveranstaltungen der afroamerikanischen community, bevor sie um 1924 nach new york zog und den künstlernamen „goldye“ annahm (warum „steiner“, kann auch sie nicht erklären). nach henry sapoznik, einem großer kenner der szene, geschah das zeitgleich mit der entwicklung des jiddischen teaters und der radiotechnik, als auch frauen begannen, sich in die traditionelle männerdomäne des liturgischen gesangs vorzuwagen. nun also die erste afroamerikanerin.

1925/26 taucht goldie jedenfalls in radioprogrammen auf und in jiddischen musik/theaterproduktionen wie „woj is main mame?“ (wo ist meine mutter?), in „carmen in harlem“, einem „gemischtrassigen“ stück, das in der presse genau deswegen verrissen wurde, ebenso wie „lulu belle“, einer show, die vermutlich wegen der (wieder in der presse gegeißelten) „dreisten kabarettszene mit heulendem sex und saxophonen“ stolze 429 vorstellungen in einem jahr erreichte. 1928 sang und spielte goldie dann in „the daughter of a lost tribe“, einem musical, das angeblich auf ihrem leben basierte, und wurde von da an unter juden nur noch als „di schwartze chasente“ gefeiert (die fünf jahre lang gerade eben erst in den usa angekommen war:)

von 1933 gibt es einen ironischen text über ein kurioses konzert, den damals x amerikanische zeitungen nachgedruckt haben. es ging um einen ostergottesdienst des christlichen evangelikalen predigers tom noonan, des selbsternannten „bischofs von chinatown“, der sich zur aufgabe gemacht hatte, eine ehemalige new yorker opiumhöhle in eine „kathedrale der unterwelt“ zu verwandeln, zitat: „auf der bühne sahen sie ein jazzorchester, einen laienchor, eine stämmigen negerin, einen japaner, einen juden, drei kornettisten und einen sänger … die negerin entpuppte sich als goldye mae steiner, hebräisch-studentin und einzige farbige kantorin in amerika. sie sang die große jüdische klage, setzte sich dann hin und stimmte lustvoll in ‚onward christian soldiers‘ ein.“ (ab da und bis 1938, als der nazi-nahe pater charles coughlin die regie übernahm, war goldie dort regelmäßig am sonntagnachmittag zu hören).

berichte über eine benefizveranstaltung im mai 1938 für die afroamerikanische bürgerrechtsorganisation „the urban league“, bei der sie zusammen mit duke ellington auftrat, sowie ein harlemer telefoneintrag von 1942, sind das letzte, was über „goldye m. steiner“ zu finden ist. (mckinney-baldon glaubt, das sie später einen herrn sacks geheiratet hat, nach wisconsin zurückgegangen und dort 1960 gestorben ist.)

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