Käte Frankenthal

käte frankenthal (1889–1976). „ich bin eine jüdische, intellektuelle sozialistin – dreifacher fluch!“, beginnen ihre lebenserinnungen. dr. käte frankenthal war eine der ersten frauen, die in deutschland eine approbation bekam und vermutlich die erste, die frontärztin war. da die kaiserliche armee keine frauen wollte und die österreichisch-ungarischen sie annahm, versorgte sie verwundete in einem frontlazarett auf dem balkan. nach dem ersten weltkrieg kehrte sie nach berlin zurück, arbeitete an der charité, betrieb eine praxis für ehe- und sexualberatung, in der es kostenlos verhütungsmittel und soziale hilfestellungen gab, trat nach dem tod ihrer sehr religiösen eltern aus der jüdischen gemeinde aus und in die spd ein, war bezirks- und stadtverordnete in berlin, landtagsabgeordnete, schulärztin und im vorstand des vereins sozialistischer ärzte. frankenthal setzte sich vehement für die frauenstimmrechtsbewegung und für die abschaffung des abtreibungsverbots § 218 ein. unmittelbar nach ihrem 52. geburtstag, dem tag, an dem auch die nsdap mit hitler an die macht kam, wurde sie als „national unzuverlässig“ und „nichtarisch“ entlassen und verließ zwei monate später deutschland. mit umwegen über prag, zürich und paris kam sie 1936 nach new york, schlug sich mit gelegenheitjobs durch, bis sie 1943 ein psychologiestudium beginnen konnte; ab 1947 und bis ins hohe alter arbeitete sie in ihrer praxis und beim jewish family service als familientherapeutin und psychoanalytikerin. käte frankenthal hat viele – beinahe prophetisch zu nennende – aufsätze geschrieben. ein auszug aus „ärzte und faschismus“, erschienen im juni 1932:

Seit dem Jahre 1930 hat man in Deutschland entdeckt, daß es eine faschistische Gefahr gibt, die bekämpft werden muß. Hauptrepräsentant, wenn auch durchaus nicht der einzige, des Faschismus in Deutschland ist die Nationalsozialistische Partei. 
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Ist die Betreuung der Volksgesundheit, die Versicherungsleistung, Krankenhauswesen und Gesundheitsfürsorge eine politische Frage, so hat doch jeder einzelne Kranke ein Recht darauf, daß der Arzt ihm nur als Arzt gegenübertritt, der die Interessen des Kranken vertritt, nicht aber am Krankenbett als politisierender Rassenkämpfer auftritt. Darauf kann ein Kranker nicht rechnen bei den Vorkämpfern des Dritten Reiches. Der Nazi als Arzt bleibt Nazi und unterscheidet laut Programm zwischen Personen, denen es zu helfen lohnt und solchen, die nach seiner Ansicht keine Existenzberechtigung haben. Äußerungen nationalistischer Führer über Wert und Unwert der Menschen verdienen es, in die breiteste Oeffentlichkeit gebracht zu werden. 
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Die Diagnose lautet: Bist du Ballastexistenz oder Edeling? Die Therapie: Muß ich dich umbringen oder heilen? 
Die Nazis sind Spezialisten auf dem Gebiete der Bevölkerungspolitik und Rassenhygiene. Der Nationalsozialistische Ärztebund erklärt das Primat der Nationalbiologie gegenüber der Nationalökonomie. Unbeschadet der zwanzig Millionen Menschen zuviel sind sie für unbeschränkte Fortpflanzung. Eine der ersten parlamentarischen Taten der Nazis war ein Antrag im Reichstag, in dem sie verlangten, daß jeder, der es unternimmt, „die natürliche Fruchtbarkeit des Volkes zu beschränken, mit Zuchthaus, in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft wird.
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An allem Unglück sind selbstverständlich die Juden schuld. Auf der zweiten Reichstagung der Nazi-Ärzte in Leipzig verlangte Professor Stämmler das gesetzliche Verbot von Ehen zwischen Deutschen und Juden. Nun ist es ein schwieriges Problem, das den Nazis viel Kopfzerbrechen macht, wer eigentlich Jude ist. Stammler ist großzügig. Er will schon einen Vierteljuden, das heißt, wenn einer der Großeltern Jude ist, als Deutschen gelten lassen. 
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Die Nazis sind stets der Ansicht, daß zuviel für das Volk getan wird. Der Kampf gegen die soziale Versicherung ist das Kernstück ihres Kampfes gegen die Arbeiterinteressen. Die Arbeiter lernen die Versicherung meist erst schätzen, wenn sie krank sind und die Leistungen in Anspruch nehmen können. Die Kranken müssen daher wissen, wie der nationalsozialistische Arzt über die Versicherung denkt. Laut Programm wird es im Dritten Reich keinerlei Versicherung geben. 
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In Richtlinien für die Parteireferenten, die wohl nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, ist gesagt: „Es ist ohne weiteres zu behaupten und nachzuweisen, daß die Sozialversicherung, wie sie sich uns in der gegenwärtigen Form zeigt, eine Geburt des Marxismus ist, welche klassenfördernd und volksschädigend wirkt. Daher im Dritten Reiche Aufhebung des gesamten Versicherungswesens außer der Haftpflichtversicherung, welche nach nationalsozialistischen Grundsätzen umgeformt werden muß.“ …“Die Sozialversicherung schwächt und schädigt das Volk in seiner moralischen und seelischen Gesundheit und Widerstandskraft, züchtet körperliche Schwächlinge und seelische Lumpen.“ 
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Die faschistischen Tendenzen in der Ärzteschaft gehen weit über den Rahmen des nationalsozialistischen Ärztebundes hinaus. Der Kampf gegen die Sozialversicherung und die Fürsorge ist ein politischer Kampf. Unser Kampf gegen die faschistischen Ärzte, den wir zuächst im Interesse der Volksgesundheit führen, ist zugleich ein Teil des politischen Kampfes gegen den Faschismus. 
Nicht unbeträchtliche Teile des Proletariats stehen noch außerhalb dieses Kampfes oder gar im Gegenlager. Diesen Massen gilt es klarzumachen, was der Faschismus bedeutet: Untergang der Volksgesundheit, Tod und Verderben für die breiten Massen. (…)

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