Laokoons Ellenbogen

am 14. januar 1506 fand der weinbauer felice de fredis unter seinem weinberg in rom eine marmorskulptur, die die sicht auf die antike und die kunst verändern sollte. 

felice de fredis hatte an diesem tag begonnen, seinen weinberg oberhalb des kolosseums für das frühjahr vorzubereiten. er pflügte, jätete und entfernte steine. einige ließen sich jedoch nicht so leicht wegräumen und als er tiefer grub, stieß er auf ein gewölbe und darunter einen raum mit einem marmorboden. und da stand sie, eine skulpturengruppe: der trojanische priester laokoon und seine söhne antiphantes und thymbraeus, die von seeschlangen angegriffen und getötet werden, die ihnen (je nach version) poseidon, apollo oder athene auf den hals geschickt hatte, weil laokoon hinter die raffinessen des trojanischen pferds gekommen war…
der fund sprach sich in windeseile herum. man holte den architekten des papstes und der brachte michelangelo mit. die zwei wussten sofort, wen sie vor sich hatten: den laokoon von plinius! der römische schriftsteller hatte die figurengruppe, die damals im palast von kaiser titus stand, in seiner „naturalis historia“ als ein werk beschrieben, „das als besser angesehen werden kann als jede andere produktion der malerei oder der statuen“ und das 200 v.u.z. von den bildhauern hagesandros, polydoros und athenodorosaus aus rhodos geschaffen worden sei.
das original war wohl aus bronze und was der bauer gefunden hatte, eine kopie aus dem 1. jahrhundert. aber dennoch wie ein lottogewinn – für den weinbauern, weil michelangelo papst julius II. überzeugte, das einmalige kunstwerk anzukaufen, de fredis den preis erfolgreich hochgetrieben hatte und für sein ganzes leben saniert war, und für die kunst – weil die realistische darstellung der bewegung, der anatomie und die vielfalt der emotionen in den gesichtern noch jahrhunderte lang künstler und denker inspiriert und zunächst einmal wie nichts sonst die kunst der renaissance in italien beeinflusst hat, deutlich zu sehen zb. in michelangelos skulpturen oder der deckenbemalung der sixtinische kapelle.
aber die wiederentdeckung bzw. die frage, ob laokoon als held oder opfer, kämpfend oder hilflos, dargestellt ist, und warum er nicht schreit, hat auch die kunsttheorie stark beschäftigt (und tut es noch immer). dem „fall laokoon“ sind schließlich einige der wichtigsten texte der klassik zu verdanken, siehe winckelmann, siehe lessing, siehe goethe, siehe schopenhauer usw.
als die gruppe gefunden wurde, fehlte allen drei figuren der rechte arme und es fehlten teile der schlangen. wie in der renaissance üblich, versuchte man das zu reparieren und verpasste u.a. laokoon einen arm, mit dem er die angreifende schlange kraftvoll nach oben stemmt.
fast 400 jahre später, 1903, entdeckte der archäologe und kunsthändler ludwig pollak, einer der profundesten kenner der antike, im
marmorvorrat einer steinmetzwerkstatt einen ellenbogen, der ihm zu der gruppe zu gehören schien. und tatsächlich, er passte exakt an laokoons schulter! dieser arm jedoch war nicht heroisch nach oben gereckt wie die „prothese“, nein, er war geknickt, angewinkelt, in sich verdreht. kein unentschieden also und laokoon kein held, sondern ein opfer, die hilflose beute der schlange. 
der echte arm wurde aber erst 1960 wieder angesetzt. sein entdecker hat das nicht mehr erlebt. ludwig pollak wurde am 16. oktober 1943 zusammen mit seiner frau, den beiden söhnen und über tausend anderen juden von der gestapo verhaftet. das angebot einflussreicher freunde im vatikan, ihn durch einen übertritt zum katholischen glauben zu retten, schlug er aus. pollak und seine familie gelten als verschollen. es wird angenommen, dass sie unmittelbar nach ihrer ankunft in auschwitz ermordet wurden.

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