
Archiv 25.1.2018
wladimir wyssotzki. der größte russische liedermacher wär heut 80 geworden. leider ist er mit 42 gestorben. beerdigt im kostüm des hamlet, begleitet von mehreren zehntausend verehrern, von der fabrikarbeiterin bis zum intellektuellen, spontan versammelt, gegen den willen der obrigkeit, an einem vormittag, mitten in der arbeitszeit. zum ersten mal seit stalins tod hätten tausende menschen überall im land quasi kollektiv geweint, heißt es. bis heute pilgern fans zu seinem grab auf dem wangankow-friedhof…
dieser w.w. war unbequem, er sang von all dem, was nicht sein sollte – suff, krieg, schmerz, freiheit, prostitution, irrenhäusern, parteisoldaten, einkaufsschlangen und der unterwelt. und er sang laut, donnernd, heiser, brüllend, zu einer meist verstimmten gitarre. durfte kaum platten mit dieser art lieder aufnehmen, aber die privaten mitschnitte seiner konzerte wurden tausendfach kopiert und seine texte abgeschrieben und von hand zu hand gereicht.
w.w. war kult – in russland, und im ostblock. auch wenn wir russisch hassten, diese reibeisenstimme kannte jeder und seine spöttischen, wütenden, traurigen, komischen, subversiven texte konnte zumindest in polen jeder auswendig. w.w. war der wahre soundtrack unserer jugend. der personifizierte ausgestreckte mittelfinger. ein code für „ihr könnt uns mal alle“ in diesem beschissenen gefängnis. nachts mit w.w. am lagerfeuer waren wir unverwundbar und hoffnungslos verloren zugleich.
w.w. war der typ von nebenan, und der exot, einer, der alle niederungen kannte, sich nie anpasste und gleichzeitig eine französische schauspielerin (marina vlady) heiraten und ab und zu nach paris fahren durfte.
er, der sohn eines jüdischen offiziers und einer russischen übersetzerin, wuchs in „komunalkas“ auf, hatte reichlich „hinterhoferfahrung“, brach erst irgendein technikstudium ab, ging dann an die schauspielschule, drehte filme und bekam schließlich ein engagement am moskauer taganka-theater, dem er treu blieb bis zum schluss. und das theater ihm. denn w.w. war nicht nur ein arbeitswütiger grandioser dichter und gewaltiger galilei oder hamlet, er war auch ein gewaltiger trinker, spielsüchtig und am ende morphinist, dessen exzesse und zusammenbrüche bis zu seinem frühen ende vom ensemble immer wieder aufgefangen wurden. „ich hab mein leben nicht vollendet, werd mein lied nicht fertig singen. bin weggefegt wie eine feder im orkan.“
w.w. hat tausende lieder und gedichte geschrieben. eine gute zusammenstellung deutscher übersetzungen von biermann bis jelinek gibt’s hier: www.wysotsky.com
Lied über die Erde
Wer sagt, alles Asche und Schrott
Legt die Saat in die Erde nicht weiter
Wer sagt, diese Erde sei tot
Nein – sie duckt sich in finsteren Zeiten
Ihr Mutterschoß ist wie das Meer
Ihr Mutterschoß lässt sich nicht morden
Wer sagt, dass sie ausgebrannt wär
Nein – von Schmerz ist sie schwarz geworden
Bombentrichter, in Städte gehackt
Schützengräben die Erde zerschneiden
Die Nerven der Erde sind nackt
Sie kennen lebendige Leiden
Sie verträgt was, Geduld ihr gelingt
Dass ein Krüppel sie sei – eine Lüge!
Wer sagt, dass die Erde nicht singt
Dass auf ewig sie schwiege, sie schwiege
Nein! Sie klingt, übertönt das Gestöhn
Und all ihre Wunden sind Kehlen
Unsere Seele – die Erde, ihr könnt
Nicht mit Stiefeln zertreten die Seele
