
Heute (31.1.2018) vor 205 Jahren wurde in Amsterdam ein visionärer Kerl geboren: Samuel Sarphati. Zu der Zeit war Amsterdam dank Napoleon bankrott, geplündert und bitterarm (auch 70% der aschkenasischen und ein Drittel der sephardischen Juden lebten in Elendsquartieren): Die Kanäle waren voll stinkendem Müll, Cholera- und Scharlach-Epidemien an der Tagesordnung… In diesem Klima studierte Sarphati Medizin und Pharmakologie, die Doktorarbeit widmete er seinen „parentibus optimis carissimis“ – Emanuel Sarphati und Reyna Musafia, die ihm das Studium ermöglicht hatten. Er trat einen Posten als (Armen-)Arzt der sephardischen Gemeinde an und heiratete Abigael Mendes de Leon, deren Vater Freimaurer, Stadtratsmitglied und ein großer Mäzen war. Ein Vorbild für Sarphati, der ein noch größerer Philanthrop wurde, genialer Unternehmer und Tausendsassa. Er war Mitgründer der Niederländischen Gesellschaft zur Förderung der Pharmazie und der Schule für Handel und Industrie, engagierte sich im Vorstand der portugiesischen Gemeinde, im „Komitees des Fleischmarktes“, in Organisationen, die Pogrom-Opfer und die Ansiedlung in Palästina unterstützten, einem Verein, der Lottogelder an Waisen verteilte und sorgte für die Sicherung des gefährdeten jüdischen Friedhofs in Ouderkerk vor Sumpfwasser. Nebenbei war er auch noch Mohel! Sarphati betätigte sich als Stadtplaner, baute das bekannte Amstel Hotel und den (1927 abgebrannten) Paleis voor Volksvlijt, einen riesigen Industrie- und Vergnügungspalast mit Glaskuppel und hunderten Bogenfenstern (dafür wurde er geadelt). Er gründete die Niederländische Kredit- und Einlagenbank, die Nationale Hypothekenbank, die Niederländische Wohnungsbaugesellschaft (die die ersten Sozialwohnungen baute) und initiierte die Gesellschaft für Mehl- und Brotfabriken an der Vijzelgracht, die statt des bis dahin schlechten Brotes (es soll vorher sogar Wasser aus den Kanälen für seine Zubereitung verwendet worden sein) gesundes und erschwingliches Brot produzierte. Sarphatis größter Verdienst für die Lebensqualität in der Stadt und die öffentliche Gesundheit aber war, dass er 1847 eine „Gesellschaft zur Förderung der Landwirtschaft und Landgewinnung“ gründete und umgehend im großen Stil den Dreck der Stadt einsammeln ließ – die Asche der Kamine, den Müll, Kot und Urin. Damit schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe. Die sanitären Verhältnisse in Amsterdam verbesserten sich zusehends und auch die Cholera wurde ausgerottet; den Mist verwendete er für die Landwirtschaft als Dünger und zur Rückgewinnung von Land, das wiederum dem Anbau von Kulturpflanzen diente. Die Ernte, die er selbst dank der Scheiße aus der Stadt auf seinem eigenen Anwesen einbrachte, bekamen seine Patienten umsonst. Als er 1866 mit 53 Jahren starb, war ganz Amsterdam auf den Beinen, um seinem Sarg zu folgen. „Und Shmuel starb und ganz Israel betrauert ihn“ wurde auf seinem Grabstein eingraviert. Ein, zwei Generationen später wusste allerdings niemand mehr, dass er Jude war – bis die Deutschen kamen und die „Sarphatistraat“ in „Muiderschans“ und den „Sarphatipark“ in „Bollandpark“ umbenannten…
