Schwarzwaldmädel c/o Gestapo

léon jessel *22.1.1871

mary und samuel jessel (der vater war verwandt mit alfred döblin, dessen großmutter eine geborene jessel war) kamen aus der textilbranche und wollten, dass ihr sohn textilkaufmann wird. der enttäuschte sie, er war ein mieser schüler, ging ohne abschluss vom stettiner gymnasium ab, wollte musiker werden und hatte sogar schon johann strauß sohn einen selbst komponierten walzer geschickt und der ihm einen ermutigenden dankesbrief. eine lehre bei gustav feldberg „damenmäntel und kindergarderobe“ musste er trotzdem machen, hatte dann aber die nase endgültig voll, heiratete eine nichtjüdin, trat aus der jüdischen gemeinde aus und in die evangelische kirche ein, überwarf sich mit der familie, und entschwand aus ihrem gesichtfeld. erst war er korrepetitor in bielefeld, und wechselte dann als kapellmeister wie damals üblich jede saison an ein anderes haus: gelsenkirchen, kiel, stettin, celle, chemnitz, lübeck… – 1911 siedelte jessel nach berlin über und begann hauptsächlich zu komponieren.
jessel hat 29 operetten und x klavierstücke geschrieben. zu seinen damals populärsten werken gehörten die „parade der zinnsoldaten“ (die auch als titellied im paramount-zeichentrickfilm „the parade of the wooden soldiers“ verwendung fand), die operetten „die beiden husaren“ und „kruschke am nordpol“. 1915 war jessel mitgründer der genossenschaft zur verwertung musikalischer aufführungsrechte (der alten GEMA). 1917 landete er schließlich seinen größten, seinen welterfolg: die operette „schwarzwaldmädel“, die in der alten komischen oper berlin an der weidendammer brücke uraufgeführt wurde. das schwarzwaldmädel (libretto: august neidhart) wurde innerhalb der folgenden zehn jahre rund 6000 mal aufgeführt, unter anderem am teatro coliseo in buenos aires, und es wurde verfilmt. jessel ging es gut, er war finanziell abgesichert, ließ sich scheiden, heiratete seine zweite frau, anna, und führte ein beschauliches leben in wilmersdorf.
léon jessel war deutschnational eingestellt, als die nazis an die macht kamen, stand er ihnen noch wohlwollend gegenüber und meinte, seine gesinnung würde über seinen stammbaum siegen. anna jessel trat in die nsdap ein, er selbst beantragte die aufnahme in den „kampfbund für deutsche kultur“ (c/o alfred rosenberg), wurde aber abgewiesen. wenig später kam das aufführungsverbot (dass das „schwarzwaldmädel“ erst 1937 verboten wurde, lage daran, dass es himmler und hitler gefiel). dann „verschwand“ jessels name aus dem operettenführer, er wurde aus der reichsmusikkammer ausgeschlossen und seine frau aus der partei, weil sie die scheidung verweigerte. 
am 15. dezember 1941 wurde léon jessel zur gestapo-leitstelle in berlin-mitte vorgeladen. grund war ein bei einer hausdurchsuchung gefundener brief an seinen librettisten, in dem er geschrieben hatte: „ich kann nicht arbeiten in einer zeit, wo judenhetze mein volk zu vernichten droht, wo ich nicht weiß, wann das grausige schicksal auch an meine tür klopfen wird.“ der brief wurde ihm als „hetze gegen das reich“ und „verstoß gegen das heimtücke-gesetz“ ausgelegt und jessel im polizeigefängnis in der dircksenstraße so schwer misshandelt, dass er am 2. januar 1942 ins jüdischen krankenhaus verlegt werden musste. am morgen des 4. januar wurde seine frau benachrichtigt und eilte zu ihm. anna jessel in ihren erinnerungen: „um 12 uhr schloß mein mann seine augen mit den worten: gestapo, gestapo, gestapo“.

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