
sein leben hatte mit rühr-rühmann, jux-juhnke oder dem zuckmayer-stück („der hauptmann von köpenick. ein deutsches märchen“) wenig zu tun. friedrich wilhelm voigt wurde 1849 im ostpreußischen tilsit geboren (und berlinerte natürlich nicht). die mutter hatte russische wurzeln und der vater, ein schuhmacher, war alkoholiker und schlug frau und sohn regelmäßig. die armut ließ wilhelm schon mit 14 zum dieb werden. er verbrachte einen großen teil seiner jungen jahren wegen kleinerer einbrüche, diebstahls und urkundenfälschung im knast.
1906 kam er nach berlin und legte hier, wohl auch aus not, weil er weder aufenthaltsrecht noch arbeit bekam, noch im selben jahr das husarenstückchen hin, das ihn weltberühmt machen sollte. in zusammengekaufte uniformteile gekleidet, marschierte der 57jährige, der nie beim militär war und sich immer vor der obrigkeit ducken musste, auf die straße, behauptete, eine kabinettsorder von ganz oben zu haben, sich einen trupp soldaten zusammenstellen zu dürfen und „rekrutierte“ sich in der nähe der militärbadeanstalt plötzensee und eines schießstandes ein dutzend gardesoldaten. anschließend fuhr der ganze trupp, voigt 1. klasse, der rest 3. klasse, vom bahnhof putlitzstraße mit der bahn nach cöpenick (voigt gab unterwegs bier und essen aus) und besetzte das zwei jahre zuvor im barockstil neu gebaute rathaus cöpenick.
voigt, der gehört hatte, dass dort 2 millionen mark liegen sollten, ließ alle ausgänge abriegeln und
oberstadtsekretär rosenkranz und bürgermeister langerhans „im namen seiner majestät“ in ihren dienstzimmern festsetzen. dem örtlichen polizeichef erteilte er urlaub, worauf der nach hause ging, und ein bad nahm. anschließend befahl voigt dem verantwortlichen für die stadtkasse, einen rechnungsabschluss zu machen und „beschlagnahmte“ dann den inhalt der kasse (3557 mark und 45 pfennige); die erbetene quittung unterschrieb er mit dem namen seines letzten gefängnisdirektors. seine truppe musste das rathaus noch eine halbe stunde bewachen, während der „hauptmann“ mit der beute zum bahnhof zurückging und sich dort noch „ein glas helles“ gönnte, bevor er nach berlin zurückfuhr und sich seiner uniform entledigte. im herrengeschäft hoffmann – dem besten in der friedrichstraße – kaufte er sich feine zivilkleidung: anzug, paletot und hut für 187 mark und zahlte mit einem tausenderschein. fein gekleidet und frisiert, konnte er die steckbriefe mit seinem konterfei, die überall an den litfaßsäulen hingen, unbesorgt wie alle anderen studieren; niemand brachte ihn mit dieser beschreibung zusammen: „etwa 50 jahre alt, 1.75 m groß, schlank, nach vorn gebeugte kopfhaltung und vorgehaltene rechte schulter. das gesicht ist gelblich, krankhaft, hässlich, eingefallene backen, vorstehende backenknochen, tiefliegende augen, ehemals rötlich-blonder, jetzt grauweißer, starker, herunterhängender schnurrbart, schiefe nase, etwas krumme sogenannte o-beine, redeweise gewählt… trägt schwarzen jackettanzug, cheviotwinterüberzieher und hut und ist zuletzt in rixdorf gesehen worden. mitteilungen nimmt die kriminal- und revierpolizei entgegen. berlin, den 17. oktober 1906. der polizeipräsident v. borrtes.“
doch voigt hatte irgendwo mit seiner tat geprahlt, die polizei bekam einen tipp und marschierte zehn tage später in voigts unterkunft bei dem jüdischen zeitungshändler karpeles in der langestraße 22 am schlesischen bahnhof ein. voigt saß beim frühstück und bat, seinen kaffee wenigsten noch austrinken zu dürfen…
im prozess, der von einem riesenmedienrummel begleitet war, wurde voigt zu (recht milden) vier jahren verurteilt, die er in der haftanstalt tegel absitzen sollte. aber schon nach knapp zwei jahren begnadigte ihn wilhelm II, der amüsiert gewesen und voigt eine „genialen kerl“ genannt haben soll. die berliner hatten sich eh schlapp gelacht, die presse war durchgedreht, in kürzester zeit gab es voigt-postkarten, -gedichte, -theaterstücke, -gnadengesuche und autogrammwünsche ohne ende – aber auch kritische töne, die die blinde uniformhörigkeit, den preußischen kadavergehorsam anprangerten.
so hatte die berliner volkszeitung schon am tag nach dem coup kommentiert: „das köpenicker gaunerstückchen stellt sich dar als der glänzendste sieg, den jemals der militaristische gedanke in seiner äußersten zuspitzung davongetragen hat. (…) umkleide dich in preußen-deutschland mit einer uniform, und du bist allmächtig (…) der held von köpenick, er hat den zeitgeist richtig erfasst. er steht auf der höhe intelligentester würdigung moderner machtfaktoren. der mann ist ein realpolitiker allerersten ranges (…) der sieg des militärischen kadavergehorsams über die gesunde vernunft, über die staatsordnung, über die persönlichkeit des einzelnen, das ist es, was sich gestern in der köpenicker komödie in grotesk-entsetzlicher art offenbart hat.“
voigt indes genoss nach seiner entlassung den ruhm und die sympathie der kleinen leute, sprach eine schallplatte ein, bekam eine wachsfigur in „castans panoptikum“, schrieb eine autobiografie, signierte fotos und tingelte durch ganz deutschland und als ihm das verboten wurde durch europa, um in lokalen und auf jahrmärkten ein bißchen geld zu verdienen. als das interesse an ihm nachließ und da er als ex-knacki immer noch unter polizeiaufsicht stand, zog voigt 1909 in das neutrale luxemburg um. er brachte es zu einem gewissen wohlstand, kaufte sich ein auto, doch mit dem einmarsch der deutschen truppen 1916 war die sympathie vorbei und die inflation verschlang, was er legal erworben hatte. als er 1922 starb, blieb für den protestanten voigt nur ein armengrab auf dem katholischen friedhof. foto: 1910
