
27.februar 1879: constantin fahlberg und ira remsen geben in baltimore die entdeckung des ersten künstlichen süßstoffs bekannt: saccharin. eigentlich ein zufall: ihnen war ein außer kontrolle geratener reaktionsansatz mit steinkohleteerverbindungen übergekocht und einer der chemiker hatte sich danach nicht die hände gewaschen und bemerkt, dass die überbleibsel an seinen fingern süß schmeckten…
in den usa ließ sich das zeug wegen der hohen lohn- und rohstoffkosten aber nicht herstellen und so gründete fahlberg 1887 eine fabrik bei magdeburg. ein jahrzehnt später gab es schon sechs deutsche süßstoff-produzenten; da fahlberg den namen „saccharin“ hatten schützen lassen, mußten die sich neue namen ausdenken: zuckerin, sucrin, sycose, süßstoff höchst und sycorin.
auch wenn der süßstoff sich schlecht dosieren ließ und einen komischen nachgeschmack hatte, war er proportional deutlich billiger und wirtschaftlicher als rübenzucker und schnell gut nachgefragt. das brachte die starke und steuern zahlende zuckerindustrie auf die barrikaden, allen voran die 1841 gegründete „erste generalversammlung deutscher runkelrübenfabrikanten“. 1902 gewann die runkelrübenfraktion und die süßstoffherstellung inklusive ein- und ausfuhr wurde (außer zu medizinischen zwecken) verboten – in deutschland, damals der größte zuckerexporteur weltweit, und in den meisten anderen europäischen ländern. nicht aber in der schweiz (stichwort schokolade!). hier wurde weiter fleißig saccharin produziert. damit brachen paradiesische zeiten für schmuggler an.
geschmuggelt wurde in kleinem und großem stil – in „versüßten“ briefen, paketen, kleidungsstücken, fahrradreifen, champagnerflaschen, aber auch in särgen (1913 schreibt die neue zürcher zeitung, dass auffällig wäre, wie viele schweizer neuerdings in deutschland begraben werden würden…). an der grenze zu österreich wurde hingegen stärker als anderswo kontrolliert und die schmuggler mußten noch kreativer sein. eine bande (die offenbar in chemie gut aufgepasst hatte) entwickelte eine methode auf grundlage der säure-basen-theorie: sie löste das saccharin (nicht sein natriumsalz) in äther auf und rührte die konzentrierte lösung in geschmolzenes wachs. daraus goß man dann große altarkerzen, ließ sie im schweizer wallfahrtsort einsiedeln weihen und schaffte sie als ritualgegenstände mühelos über die grenze; in wien wurden sie in einem eigens dazu eingerichteten devotionaliengeschäft wieder eingeschmolzen und verdünntes natriumhydroxid sorgte dafür, dass sich das wachs wieder vom saccharin trennte. der süßstoff wurde verkauft und das wachs für die herstellung der nächsten fuhre wiederverwendet. voll ökologisch.
noch gewiefter waren die bewohner von bischofsreut in bayern: sie trugen jahrelang jeden zweiten sonntag in einer festlichen bittprozession eine lebensgroße holzstatue des heiligen johannes von nepomuk, schutzpatron von böhmen und bayern, über die grenze nach böhmisch-röhren (damals österreich). eigentlich unnötig hinzuzufügen, dass der heilige nepomuk ausgehöhlt und mit jeweils fast einem zentner saccharin gefüllt war. den musste man hier nur noch aus seinem bauch hohlen und mit gewinn weiterverkaufen…
die schmuggelei ging bis zum ersten weltkrieg munter weiter. trotz der zwischenzeitlich eingerichteten „amtlichen nachrichtenstellen für illegalen süßstoffverkehr“ und trotz der kopfgelder, die zuckerrübenfabrikanten den zöllnern für die ergreifung von schmugglern boten, soll nur etwa die hälfte der produktion die schweiz legal verlassen haben. mit beginn des krieges aber wurden in deutschland die anbauflächen für zuckerrüben zugunsten kartoffeln und getreide drastisch reduziert, so dass in den folgenden hungerjahren wieder süßstoff produziert werden durfte und sollte. er spielte auch im zweiten weltkrieg eine große rolle als zuckersatz. nach dem krieg wurde ein teil der werke im osten als „reparation“ in die sowjetunion verschifft und saccharin war wieder mangelware und hoch geschätzt auf dem schwarzmarkt. bis es erneut genug billigen zucker gab (und inzwischen weitere zuckerersatzstoffe)
