Pionierin der Essstörungsforschung

sie ist die pionierin der essstörungsforschung. ihren namen kennen wahrscheinlich trotzdem nur wenige, weil sie wie zahllose andere kluge köpfe verjagt wurde: hilde bruch wurde heute vor 116 jahren als tochter des viehhändlers hirsch bruch und seiner frau adele rath in dülken geboren und wuchs auf einem bauernhof an der deutsch-holländischen grenze auf. eigentlich wollte sie mathematikerin werden, ließ sich aber von ihrem onkel, einem düsseldorfer arzt davon überzeugen, dass ein medizinstudium einer jüdin bessere chancen bot. sie promovierte in freiburg, arbeitete dann in düsseldorf, kiel und leipzig und eröffnete im oktober 1932 eine kinderärztliche praxis in ratingen, nachdem sie an allen o.g. orten heftig antisemititisch von ihren überwiegend männlichen kollegen angefeindet worden war. doch das änderte sich auch jetzt nicht. der „ratinger beobachter“ forderte anfang april 1933 seine leser auf, die kinderärztin hilde bruch zu meiden, weil sie jüdin ist, noch nicht bei der krankenkasse zugelassen sei, und patienten über das wohlfahrtsamt bekomme. vom dem verlangte der schreiber, es solle ihr „sofort jede zuwendung entziehen… dass eine jüdische ärztin deutsche kinder behandeln soll, das ist auf keinen fall nötig… und wir hoffen, dass auch hier in nächster zeit der ratinger deutsch denkenden bevölkerung rechnung getragen wird“. dem nicht genug, zogen uniformierte nazis vor ihrer praxis auf und hinderten patienten daran, sie zu betreten. 

hilde bruch nutzte im juli 1933 einen kinderheilkundekongress in london, um wegzubleiben und gelangte dank eines kollegen, der für sie bürgte, 1934 auf einem frachtdampfer in die usa (ihre mutter konnte sie später nachholen sowie einen neffen, herbert, den sie dann adoptiert hat; drei ihrer geschwister retteten sich nach bolivien, shanghai und palästina, die anderen drei wurden zusammen mit ihren familien ermordet).
die ärztin bekam nach ihrer ankunft in den usa sofort einen job im babies hospital in new york und begann 1935 mit ihren forschungen auf dem gebiet der psychiatrie, der schizophreniee und der fettleibigkeit bei kindern, später zusätzlich der magersucht und bulimie, die sich allesamt als wegweisend erweisen und sie zur führenden autorität in in der adipositas- und anorexieforschung und -behandlung machen sollten (ihre immer wieder aufgelegten bücher – u.a.: the importance of overweight; eating disorders: obesity, anorexia nervosa and the person within; essstörungen; das verhungerte selbst. gespräche mit magersüchtigen; der goldene käfig. das rätsel der magersucht – gelten bis heute als endgültige arbeiten zu diesen themen). anorexie, die in den 60er/70ern erstmals in massen bei mädchen auffiel, beispielsweise identifizierte sie damlas schon als „psychosoziale krankheit“, die mit entwicklungsdefiziten und einem verzerrten selbstbild verbunden ist, das durch die kultur und sexistische erwartungen auferlegt wird. „mädchen mit einer konformen persönlichkeit fühlen sich verpflichtet, etwas zu tun, das ein hohes maß an unabhängigkeit erfordert, um respektiert und anerkannt zu werden. wenn sie stecken bleiben, besteht die einzige unabhängigkeit, die sie fühlen, darin, ihren körper zu kontrollieren … man muss sie davon überzeugen, dass sie fähige, ehrliche, liebenswerte und herzliche menschen sind. wenn sie sich so gut fühlen, ist die behandlung beendet. das ist ein ziemlich großer job“.
daneben hatte hilde bruch noch eine psychiatrische zusatzausbildung am johns hopkins hospital bei adolf meyer, damals der bekannteste amerikanische psychiater, und bei frieda fromm-reichmann (der frau von erich fromm) absolviert, lehrte später als professorin für psychiatrie an der columbia university und am baylor college of medicine in houston, betrieb eine private psychoanalytische praxis und soll eine brilliante therapeutin gewesen sein. „psychotherapie zu lernen ist ein lebenslanger prozess; es ist eine nie zu erledigende aufgabe ständiger schöpferischer neuorientierung… der therapeut kann sein fachwissen nicht dadurch vermehren, dass er unablässig wiederholt, was er bislang getan oder gelernt hat. jeden neuen patienten muss er als den behandeln, der er ist, als einen fremden, dessen nöte und probleme einzigartig, ohne beispiel sind…“ (hilde bruch starb 1984 in houston.)

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