
zu den 13,3 millionen soldaten, die wilhelm II. in den krieg schickte, gehörten auch circa 96000 deutsche juden. 81 rabbiner, wesentlich mehr als gebraucht wurden, erklärten auf eine umfrage des verbandes der deutschen juden hin sofort nach kriegsbeginn ihre bereitschaft, als feldseelsorger zu wirken. als erste traten sieben rabbiner im september 1914 ihr amt an, unter anderem leo baeck. später waren 30 feldrabbiner und 15 hilfsrabbiner im einsatz. die geistlichen hielten regelmäßige konferenzen ab, deren protokolle zum großen teil erhalten sind, genau wie die berichte, die jeder von ihnen an den verband der deutschen juden schickte.
dort legten sie rechenschaft über ihre tätigkeit ab – das abhalten von gottesdiensten und vorträge, beerdigungen, die verwundeten- und hinterbliebenenbetreuung, die versorgung mit lesestoff und sogenannten liebesgaben, sprich: tabak, schokolade und alkohol. ob die aussagen immer wörtlich zu nehmen sind, sei dahingestellt, zum beispiel, wenn rabbiner aron tänzer schreibt: „ergreifend ist die freude (,) die sich wiederholt zu weinkrämpfen steigerte, mit der die soldaten den besuch des rabbiners aufnahmen…“.
es geht aber auch darum, wo gottesdienste abgehalten werden, damit auch „orthodoxe kameraden“ daran teilnehmen können oder um die „sexuelle frage“ („es soll den soldaten klar gemacht werden, welcher grad von tapferkeit gerade in der selbstbeherrschung liegt…“, steht im protokoll der feldrabbinerkonfernenz in lille am 26.5.1915), um einen besuch des kaisers, um hilfsaktionen für die notleidende jüdische bevölkerung vor ort, die schaffung von jüdischen ausbildungsstätten oder um suppenküchen. letztere standen – wie der von jüdischen logen gespendete lazarettzug – allen konfessionen zur verfügung. oft stießen die geistlichen dabei an grenzen. feldrabbiner sali levi berichtete beispielsweise über die ausweglose situation in wilna, wo jüdische flüchtlinge, waisenkinder und insassen von altersheimen infolge der kriegshandlungen vom hungertod bedroht waren.
diskutiert wurden immer wieder auch inhaltliche fragen. so schreibt leo baeck im zusammenhang mit dem neudruck eines gebetbuches an den verband: „das kaisergebet gehört in das feldgebetbuch nicht hinein, da dies ein andachtsbuch für den soldaten, aber nicht eine liturgie für den rabbiner ist… die neigung (…) von dem kaisergebete einen etwas extensiven gebrauch zu machen, verdient keine nachahmung, schon wegen des ungünstigen eindrucks einer markierten absichtlichkeit (sic!)“. auch die nationalhymne gehöre nicht in das gebetbuch, schreibt baeck, „weil es vorauszusetzen ist, daß jeder soldat sie auswendig kennt“, und: „eine aus dem buch abgesungene nationalhymne ist keine nationalhymne mehr“.
rabbiner paul lazarus hatte auf dem balkan andere sorgen. er berichtet über die pessach-vorbereitungen an der mazedonischen front und dass er „wohl oder übel ein türkisches kaffeehaus für einen ungeheuer teuren preis mieten“ muss und „die verhandlungen mit der jüdischen kochfrau, der einzigen in ganz üsküb“ vier stunden dauerten, „ehe sie sich bereit erklärte, für den selben preis wie im vergangenen jahr zu kochen“. dafür sei der sederabend sehr schön gewesen und unter den „350–400 mann“ seien auch kameraden aus österreich und ungarn gewesen, die keinen eigenen rabbiner hatten.
nach der infamen judenzählung 1916 mussten sich die geistlichen mit dem zunehmenden antisemitismus in der truppe und der auswirkungen auf die jüdischen soldaten befassen, die so begeistert für volk und vaterland in den krieg gezogen waren. und hatte nicht wilhelm II. noch am 1. august 1914 verkündet, er kenne „keine parteien und auch keine konfessionen mehr“, und alle wären „nur noch deutsche brüder“? nun wurden die deutschen brüder jüdischen glaubens von der militärführung als „drückeberger“ hingestellt, von anderen soldaten gedemütigt und verbitterten, wie die rabbiner an den verband berichteten. dies trotz aller gefallenen, auszeichnungen und „eisernen kreuze“, die sie in ihren berichten aufzählten (und selbst wenn einzelne christliche soldaten oder offiziere die stigmatisierung ebenfalls beschämend fanden). viele von ihnen, auch fünf der ehemaligen seelsorger, wurden ein vierteljahrhundert später von ihren einstigen kameraden aus den schützengräben ermordet.
foto: der verband legte auch das habit der rabbiner, analog zu christlichen feldgeistlichen, fest: feldgrauer rock mit lila besatz, reithose, gamaschen, schnürstiefel, südwester, armbinde und kette mit davidstern. der abgebildete – dr. jakob sonderling – hat es vielleicht mit letzterem ein wenig übertrieben:) das bild stammt aus der ersten großen arbeit, die zu dem thema überhaupt erschienen ist: sabine hank, hermann simon, uwe hank: „feldrabbiner in den deutschen streitkräften des ersten weltkrieges“, hentrich & hentrich 2013
