Sitzredakteur

„der verantwortliche redakteur einer periodischen druckschrift wird nach §20 des reichspreßgesetzes auch ohne den besondern beweis seiner schuld als täter bestraft, sofern nicht durch besondere umstände die annahme seiner täterschaft ausgeschlossen wird. eine umgehung des gesetzes kann freilich insofern bewirkt werden, als nicht der wirkliche redakteur, sondern ein strohmann (sitzredakteur) auf den druckexemplaren als verantwortlicher redakteur bezeichnet wird…“ (preßdelikte, meyers großes konversationslexikon, 1905). 

wegen der pressezensur im kaiserreich nutzten viele deutsche zeitungen diese lücke im presserecht, um in falle einer verurteilung den redaktionsbetrieb aufrecht erhalten zu können. stellvertretend im knast saßen dann beispielsweise kriegsinvaliden, die sich so ein zubrot verdienten, aber auch kritische junge journalisten (quasi als „initiationsritus“). 
die macher des simplicissismus haben das im obigen fall offenbar versäumt. der titel zeigt ein „selfie“ von thomas theodor heine, der 1898 wegen der sog. „palästina-nummer“ einsaß, die die pompöse orientreise von wilhelm II. persifliert hatte. der verantwortliche redakteur albert langen und autor frank wedekind waren rechtzeitig in die schweiz abgehauen und so hatte heine, der in münchen geblieben war, allein sechs monate festungshaft wegen majetätsbeleidigung kassiert. (wedekind stellte sich später und saß ebenfalls sechs monate ab, langen kehrte erst fünf jahre später aus dem exil zurück und kam mit einer geldstrafe davon.)

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