„Ein tätowirter Europäer“

bäh, flächendeckend zutätowierte typen. aber vielleicht wäre ich damals auch so begeistert gewesen, wie der autor der „Illustrirten zeitung“ am 4. september 1872:

ein tätowirter europäer

während des heurigen sommers zeigte sich ein mann in mehreren europäischen städten, dessen körper von kopf bis fuß, kein glied ausgenommen, auf eine seltsam schöne art tätowirt ist. nachdem sich die ersten männer der wissenschaft bereits aufs eingehendeste mit dem ethnographisch wie pathologisch hochinteressanten fall beschäftigt hatten, wurde der albanese am 14. august in der sitzung der section für innere medizin den mitgliedern der zu leipzig tagenden 45. versammlung deutscher naturforscher und ärzte vorgeführt und erregte nun auch in diesem kreise durch die große zahl der tätowierten figuren und die künstlerische vollendung derselben allgemeines aufsehen. ein theil der sichtbaren zeichen wurde als birmanische schrift gedeutet.

die schriftzeichen wurden zuerst von dem scriptor an der k.k. hofbibliothek zu wien, prof. fr. müller als birmansische erkannt. was die schrift bedeutet, konnte nur vermutet werden. prof. müller glaubte, daß die zeichen nur namen enthalten, prof. bastian bezeichnet in einem sehr dankenswerten ausführlichen bericht die buchstaben als dem shan-alphabet angehörend…

was die tätowierung im allgemeinen betrifft, so wird dieselbe von dem ausgezeichneten kenner hinterindiens überhaupt als entscheiden birmanisch ausdrücklich anerkannt. die birmanische tätowierung beschränkt sich meist auf dem vom putso (gürtel) bedeckten körpertheil. woraus von selbst der ungrund der ansicht derjenigen sich ergibt, welche die tätowirung als eine art surrogat von bekleidung deuten möchten. 

wir geben in umstehender abbildung eine rückenansicht des tätowirten, während die medizinische fachwelt binnen jahres- oder längerer frist im achten heft des von der kaiserlichen akademie der wissenschaften zu wien herausgegegeben „atlas der hautkrankheiten“ von prof. dr. ferdinand hebra eine vorderansicht in natürlicher größe und in farben ausgeführt finden wird.

man hat sich in dem tätowirten albaner einen mittelgroßen, schön und kräftig gebauten, gut genährt erscheinenden mann mit äußerst dunklem gesichtsteint, schwarzem vollbart, das kopfhaar in zwei flechten um den scheitel gelegt, vorzustellen. 

dr. kaposi (kohn) in wien hat sich die mühe genommen, die zahl der sämtlichen figuren auf dem körper des albanesen festzustellen und hat eine summe von 388 heraus gefunden. davon kommen auf die in unserer illustration dargestellten körpertheile, und zwar auf dem rücken bis zum gürtel 37, hals und nacken 8, den linken arm 51, den rechten arm 50, die stirn 2 figuren. der albanese ist auch auf den mit haaren bedeckten theilen tätowirt. durch kopf- wie barthaar schimmern blaue zeichnungen hindurch. zwei pantherfiguren, gegeneinander schauend, sind auf der stirn eingetragen, schriftzeichen dazwischen, blauen sternfiguren auf den wangen. 

dem gegenstand nach sind die gestalten zumeist dem tierreich entnommen, doch finden sich auch einige menschliche figuren, sogar zwei mit reifröcken bekleidete, halbwegs europäisch aussehende frauengestalten, die eine oben auf der hinteren flache des linken oberschenkels. 

man sieht löwen, panther, leoparden, tiger, katzen, gazellen, affen, dazwischen elefanten. auch schlangen, krokodil eidechsen, salamander, störche, frösche, muscheln, schnecken. aus dem vogelgeschlecht unterscheidet man adler, pfauen, perlhühner, uhu und schwäne. in den zwischenräumen sind zinnoberrote zeichen, rohe schriftzeichen oder symbole eingestreut. in den inneren flächen der hände sind in felder abgetheilte tafeln sichtbar, von denen zeichen wie zeilen an den fingern entlang laufen.

die figuren bestehen aus einzelnen punktartigen flecken zusammen von der große eines stecknadelkopfes, die im kern eine nadelgroße weißliche narbenähnliche  vertiefung bilden. diese eigentümlichkeit trägt dazu bei, daß die ganze zeichnung wie gewirkt oder gestrickt erscheint und man vergißt, glatte menschliche haut vor sich zu haben…  (jetzt reicht’s, das geht noch weiter).

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