Fromme Vulva

hab mich gefragt, warum die darstellung der (seiten-)wunde von jesus so oft an eine vagina erinnert, vertikal, riesig, solitär und wie körperlos auf den buchseiten schwebt (wie im psalter der bonne de luxembourg, von 1349). hab also nachgeguckt. zum einen war im mittelalter die darstellung von geschlechtsteilen „normal“ und üblich, zb. an den außenseiten von kirchen und schlössern oder auf pilgerabzeichen, zum anderen war sie im falle der vulva vermutlich vollkommen fromm gemeint, aus einer tradition heraus, die sich christus als mütterliche figur vorgestellt hat (zb. beim mystiker julian von norwich). jesus’ verletzungen als vaginale wunden sind spirituelles objekt der anbetung und gewalt zugleich, eine art mystischer fetisch, aber ohne sexuelle konnotation. christus verschmilzt mit der frau, objekt der macht, anbetung und schöpfung, die geöffnete seite, das offene herz wird als ort der geburt gesehen, in erster linie der geburt der kirche. bilder der seitenwunde wurden auch gern zusammengerollt und um den körper gebunden, und sollten vor krankheit und tod schützen. in büchern erscheint die wunde oft neben dem morgengebet, das beginnt „domine, labia mea aperies“ (herr, öffne meine lippen) und häufig gibt es dazu religiöse anweisungen, die den leser einluden, die wunden zu streicheln und zu küssen (einige aufgefundene manuskripte sind dementsprechend abgelutscht an den entsprechenden stellen). es gibt sogar bücher, die einen schnitt im pergament über die länge der wunde aufweisen, so dass der betrachter seine finger hindurchstecken konnte. (als ich meinem zimmernachbarn eben die bilder zeigte, sagte der: hast du ’n knall?! da guck ich mir doch lieber die knackigen fussballer an; spiel geht gleich los!)

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