
„es küsst dich recht oft auf’s nasenspitzerl dein karli-bub“ steht auf einer postkarte, die weniger interessant ist, weil „karli-bub“ 1899 offenbar heftig in „spatzerl“ verknallt war, sondern weil er seinen liebesgruß neben eine karikatur gequetscht hat, die einen juden zeigt, der vor einem kläffenden köter und jubelnden kindern flüchtet, die ihn mit schneebällen bewerfen. karten, die ihren „witz“ aus dem gegensatz zwischen einem stolzen namen wie eben hirsch (bär, löwe) und einer abgebildeten jammergestalt ziehen, gehören zu den klassikern unter den judenfeindlichen postkarten der wilhelminischen zeit, ähnlich wie eine serie mit „dem kleinen cohn“, der hier in immer neuen, oft gereimten episoden lächerlich gemacht wird – mal wurden die karten mit erläuterung zum bild verschickt, meist aber ohne bezugnahme, einfach so: „herzliche sonntagsgrüße von uns allen, deine mutter“.
1870 wurden in deutschland die ersten correspondenz-karten gedruckt, 1885 wurden bilderkarten für den postverkehr zugelassen und um 1900 lag deren produktion bereits bei 500 millionen stück jährlich. wie litfaßsäulen und witzblätter waren sie multiplikatoren der öffentlichen meinung, gingen durch unzählige hände, konnten stereotype verbreiten, bestätigen und im bewusstsein festsetzen. weigerte sich die post anfangs noch, antisemitische karten zu befördern, war es schon bald durchaus üblich, die bunten karten mit ihrem platten humor und den selbstgestrickten kausalitäten zu sammeln oder zu verschicken.
seit dem kaiserreich außerdordentlich verbreitete waren z.b. auch die „gruß von der musterung“-karten, mit denen man angehörigen das musterungsergebnis mitteilte; sie operierten mit dem „gag“, juden als wehruntauglich darzustellen: der jude rennt also in die falsche richtung, hält das gewehr verkehrt herum, drückt sich, wo er kann, oder fällt bei der musterung als rachitisch, krummbeinig, zu dürr oder zu fett durch (in der realität nahm jeder sechste deutsche jude am ersten weltkrieg teil).
die angeblichen besonderheiten der physignomie oder des habitus (fliehende stirn, krumme nase, wulstlippen, plattfüsse, wildes gestikulieren, jiddelndes deutsch) finden sich auf fast allen postkarten, sie sollten juden dort, wo sie sich äußerlich nicht mehr von anderen unterschieden, „erkennbar“ machen.
eines der lieblingssujets war jedoch der optisch durchaus noch eindeutige (verlauste, nach knoblauch stinkende) „ostjude“, der dem deutschen den platz wegnimmt und ihn notorisch betrügt („der jude fälschet überall, er färbt sogar das pferd im stall…“). gern als schwarzer (unglücks-)rabe mit großem schnabel gezeichnet, wurde das stereotyp zugleich auf den assimilierten (getarnten) „westjuden“ übertragen. dieser wiederum treibt auf den bildern als geldgeiler wucherer („elias nimmersatt“) sein unwesen. mit emanzipation und neuen ökonomischen freiheiten wird aus ihm der fette, mit klunkern behängte bankier (börsianer, kapitalist) oder aber der intellektuelle (anwalt, psychiater, journalist), der wahlweise für die kapitalistische oder die kommunistische weltverschwörung zuständig ist.
ein anderes populäres klischee war das jüdische „mannweib“ (generell auch die frau auf dem weg zur emanzipation) und der „weibische“ jude, denn als norm galt, männlich und nicht-jude zu sein. sein gegenstück bildete der jüdische „sexprotz“, der entweder als schmieriger lustmolch dargestellt wurde, der deutsche frauen anbaggert oder als feiger schwächling, der sich von seiner – ihn in höhe wie breite überragenden – gattin beherrschen lässt.
erotik spielte auch auf den „bäderkarten“ eine große rolle. um 1900 war es in der oberschicht en vogue zum kuren nach karlsbad, marienbad oder bad kissingen zu fahren. die karten, die man von dort nach hause schickte, kommentierten das oft erstmalige aufeinandertreffen osteuropäischer juden und westlicher gäste, parodierten vornehmes getue jüdischer neureicher und nutzte gern anzüglichkeiten wie vor der toilette anstehende juden oder die jüdische „matrone“ – so die nackte, schmutzige „rebekka bzw. susanne im bade“, von deren händen moorschlamm wie blut tropft, und zu der die „deutsche“ bademeisterin den weiss-reinen gegensatz bildet.
urlaubsorte wie zinnowitz oder die nordseeinsel borkum forderten auf ihren karten: „…doch wer hier naht mit platten füßen, mit nasen krumm und haaren kraus, der soll nicht deinen strand genießen, der muß hinaus“. ein frankfurter hotelier bewarb seine gäste bereits 1896 mit karten, auf denen „juden-frei!“ stand und auch die aufforderung „kauft nicht bei juden!“ ist keine erfindung der ns-zeit, sondern zierte postkarten schon zur jahrhundertwende. zu dieser zeit hatten antisemitische parteien auch längst begonnen, die auswanderung der juden zu fordern. es gab „freifahrkarte nach jerusalem… hin und nicht wieder zurück“-karten und andere, auf denen juden per fußtritt aus der kneipe, der stadt oder dem land befördert wurden.
allerdings waren solche postkarten keine deutsche spezialität. im zaristischen russland und dann in der sowjetunion wurden juden vorzugsweise als kapitalisten, ratten oder spinnen dargestellt, die die bestehende ordnung untergraben oder später als „internationaler zionismus“ die welt bedrohten. auf tschechischen und polnischen karten sind sie als betrügerische schankwirte zu sehen, sie ziehen brave arbeiter am nasenring hinter sich her oder verkleiden sich vergeblich (da an den nasen immer noch erkennbar) als polnische bergbauern (auf englischen karten sind es dudelsack spielende juden im schottenrock).
die amerikanischen karten verspotten juden „nur“ als fremde und wucherer („belief me“ – warnt in falschem englisch vor dem betrügerischen juden, der mit zigarre und protzigem brillianten ausgestattet ist).
in frankreich stellen die karten oft bekannten personen jüdischer herkunft dar (alfred dreyfus, léon blum), die exemplarisch für die ganze „gattung“ stehen sollen. zuletzt orientiert sich der stil jedoch auch hier an deutschen vorbildern: juden sind ratten, die am französischen käse nagen oder mit dem messer hinter dem ahnungslosen franzosen lauern (bei der deutschen konkurrenz stoßen die „jüdischen kriegsgewinnler“ wiederum dem „unbesiegbaren“ deutschen heer den dolch in den rücken)…
ob als minderwertige schädlinge oder als harmlose deppen daherkommend, ob gezielt oder gedankenlos verschickt – all diese karten waren dünger für eine enthemmung, die letztlich mit millionenfachen mord endete. hier eine auswahl, die illustriert, was ohnehin jeder weiß: „der boden, aus dem das kroch“ kam nicht aus dem nichts, nicht plötzlich, nicht von „oben“ – er war lange vor 33 bereitet.
*die scans stammen aus der sammlung des 2017 verstorbenen schoa-überlebenden wolfgang haney, der als privatperson das m.w. größte konvolut jüdischer bilderstereotype europas zusammengetragen hat:







