Knigge: Der Gerechte erbarmet sich auch seines Viehes

beim freiherr von knigge denkt man unwillkürlich an tischsitten und den korrekten gebrauch von weingläsern oder besteck („fisch mit messer? – was würde knigge sagen?“). dass er dazu gar nichts gesagt hat, weiß ich erst, nachdem ich endlich sein opus magnum (quer) gelesen habe. er handelt so gut wie jeden beruf, stand und zustand ab, nur eben keine benimmregeln für tisch oder kleidung. die wurden ihm erst später von anderen angedichtet. knigge schreibt darüber, wie menschen sich verhalten sollten, um den nebenmenschen und sich selbst froh zu machen und exerziert das sehr kurzweilig und amüsant durch – am umgang mit dummen, habgierigen, eitlen, dienern, frauen, gastwirten, freunden, gläubigern, betrunkenen, fürsten, geistlichen, künstlern, ärzten, juristen, kindern, verliebten, künstlern… da er die alle fein beobachtet hat und ich mich nicht entscheiden konnte, hier zum kosten sein kapitel „vom umgang mit tieren“ (wohlgemerkt ein text von 1788):

1.
In einem Buche über den Umgang mit Menschen scheint wohl freilich ein Kapitel über die Art, mit Tieren umzugehn, nicht an seinem Platze. Allein was ich hierüber zu sagen habe, ist so wenig und hat doch im ganzen so viel Bezug auf das gesellschaftliche Leben überhaupt, daß ich hoffen darf, man wird mir diese kleine Ausschweifung gütigst verzeihn.
2.
Der Gerechte erbarmet sich auch seines Viehes – das ist ein vortrefflicher Spruch; ja, der edle, der gerechte Mann martert kein lebendiges Wesen. Wenn doch die hartherzigen, grausamen oder, um billiger zu urteilen, zum Teil nur leichtsinnigen, verwilderten Menschen, deren Augen sich an der Qual eines rastlos umhergetriebenen Hirsches oder an der Todesangst eines in dem Schauplatz der Barbarei auf den Tod gehetzten Viehs weiden können; wenn die Unbesonnenen, die mit dem Leben eines armen Geschöpfs, das in ihre kindischen Hände fällt, wie mit einem Balle spielen, Fliegen und Käfern Beine ausreißen oder sie spießen, um zu sehn, wie lange ein also leidendes Tier in konvulsivischer Pein fortleben kann; (…) wenn sie doch nur bedenken wollten, daß diese Tiere zwar zu unsrer Nahrung auf der Erde sind, nicht aber, um von uns gepeinigt zu werden, und daß keine Kreatur das Recht haben könnte, mit dem Leben einer andern Kreatur, der Gott einen Odem eingeblasen hat, sein Spielwerk zu treiben; daß ein Tier ebenso schmerzhaft Mißhandlung, barbarischen Mißbrauch größerer Stärke und Wehe fühlt als wir, und vielleicht noch lebhafter, da seine ganze Existenz auf sinnlichen Empfindungen beruht; (…) daß Grausamkeit gegen unvernünftige Wesen unmerklich zur Härte und Grausamkeit gegen unsre vernünftigen Nebengeschöpfe führt.
3.
Doch wünsche ich, man möge diese Exklamationen nicht auf die Rechnung einer abgeschmackten Empfindelei schreiben. Es gibt so zarte Männlein und Weiblein, die gar kein Blut sehn können, die zwar mit großem Appetit ihr Rebhühnchen verzehren, aber ohnmächtig werden würden, wenn sie eine Taube abschlachten sehn müßten; Leute, deren Federn und Zungen mit moralischem Gifte und Dolche den Freund und Bruder verfolgen, aber mitleidig einer matten Fliege das Fenster öffnen, damit sie fern von ihren Augen – zertreten werden könne; die ihre Bedienten in dem raschesten Wetter ohne Not stundenlang umherjagen, aber dagegen herzlich den armen Sperling bedauern, der, wenn es regnet, ohne Paraplü und Überrock herumfliegen muß. Zu diesen süßen Seelchen gehöre ich nicht, halte auch nicht alle Jäger für grausame Menschen – es muß ja dergleichen Leute geben, so wie wir, wenn keine Schlächter in der Welt wären, bloß von Speisen aus dem Pflanzenreiche leben müßten – aber ich verlange nur, daß man nicht ohne Zweck und Nutzen Tiere martern noch ein vornehmes Vergnügen darin suchen solle, mit wehrlosen Geschöpfen einen ungleichen Krieg zu führen.
4.
Ich habe immer nicht begreifen können, welche Freude man daran haben kann, Tiere in Käfigen und Kästen einzusperren. Der Anblick eines lebendigen Wesens, das außerstand gesetzt ist, seine natürlichen Kräfte zu nützen und zu entwickeln, darf keinem verständigen Manne Freude gewähren. Wer mir daher einen schönen Vogel in einem Bauer schenken will, dem kann ich vorhersagen, daß das einzige Vergnügen, welches er mir dadurch verschaffen kann, das sein wird, sein Bauer zu öffnen und das arme Tier aus der Sklaverei in Gottes freie Luft hinausfliegen zu lassen; auch ist eine Menagerie, in welcher wilde Tiere mit großen Kosten in kleinen Verschlägen aufbewahrt werden, meiner Meinung nach ein sehr ärmlicher Gegenstand der Unterhaltung.
5.
Noch abgeschmackter aber scheint es mir, wenn man sich an einem Vogel ergötzt, der seinen schönen wilden Gesang hat vergessen müssen, um vom Morgen bis zum Abend die Melodie einer elenden Polonaise zu pfeifen, oder wenn man Geld ausgibt, um einen Hund zu sehn, den man gelehrt hat, eine Reverenz wie ein Tanzmeister zu machen und auf den Wink seines Meisters anzudeuten, wieviel schöne Junggesellen in der Versammlung sind.
6.
Habe ich aber diejenigen getadelt, die grausam gegen Tiere verfahren, so muß ich doch auch sagen, daß andre in die entgegengesetzte Übertreibung fallen, indem sie mit dem Viehe wie mit Menschen umgehen. Ich kenne Damen, die ihre Katze zärtlicher umarmen als ihre Ehegatten; junge Herrn, die ihren Pferden sorgsamer aufwarten als ihren Oheimen und Basen, und Männer, die gegen ihre Hunde mehr Zärtlichkeit, Schonung und Nachsicht beweisen als gegen ihre Freunde, die sich von jenen müssen mit Flöhen bevölkern lassen. (…)


das ganze werk kann man hier lesen: https://gutenberg.spiegel.de/buch/uber-den-umgang-mit-menschen-3524/

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