
Greifswald, theologische Fakultät. Vor 300 Jahren befand sich genau hier (Foto) die „Mayerische Synagoga“, eine Art Lehrsynagoge für Christen, und in ihr (mangels lebendiger Juden) eine Rabbinerfigur, die ihr Schöpfer so beschrieb: „Stehet in Lebens-Größ ein Rabbi in seinem völligen Habi, worinnen er sein Gebet in der Synagoga verrichtet. Als in einem gantz schwartzen Kleid und Mantel mit einem gelben Flecken darauff wie die Jüden ins gesamt in Franckfurt und Wormbs, als ein Kenn-Zeichen tragen müssen…“
In Auftrag gegeben hatte die Einrichtung der Lehrsynagoge der Dekan der Theologischen Fakultät, Johann Friedrich Mayer, ein fanatischer Verfechter der lutherischen Orthodoxie und Verfasser eines eigenen „Juden-Katechismus“. Mit seiner „Synagoga“ wollte er die Absurdität der jüdischen Religion vorführen und Juden zur Taufe bewegen. Sie lockte in der Tat viele Besucher an, sogar Zar Peter I., heißt es, und war Teil der Mayerschen Bibliothek in der Domstraße, die als eine der größten Privatbibliotheken des beginnenden 18. Jahrhunderts gilt. Bis heute befindet sich hier die Theologische Fakultät der Uni Greifswald.
Einrichten lassen hatte sich Mayer den Raum von Christoph Wallich, „eines von Jüdischen Eltern gebohrnen, aber vor vielen Jahren, nach erkandter Jüdischer Finsterniß, zum Christlichen Glauben getretenen Mannes“. Der Konvertit Wallich hat nicht nur die Rabbiner-Puppe gebaut, sondern alles zusammengetragen, was in einer Synagoge seiner Zeit wesentlich war: Ein Schabeisen vor der Eingangstür, ein „Hand-Faß“ („woraus klein und groß, ehe und bevor sie hinein gehen, sich waschen müssen“…, denn der Israelit „schuldig ist des Morgens frühe, nicht allein das Maul auszuspühlen, damit der Nahme GOttes nicht aus unreinem Munde gesprochen werde…), einen „Allmosen-Kasten“, den Aron Hakodesch, einen Beschneidungsstuhl, eine Menora, ein Schofar, eine Esther-Rolle usw.
Wallichs Mobiliar sollte einem christlichen Publikum das Judentum vermitteln. Und so erläutert er auch all diese Gegenstände und den jüdischen Gottesdienst samt Ritualen wie Beschneidung, Eheschließung, Scheidung usw. in einem Buch. Er erklärt die an den Wänden angebrachten Gebetstafeln (die heute kaum noch zu finden sind, aber zu seiner Zeit allein wegen der hohen Kosten von Gebetbüchern üblich waren) und bedient sich für seine Erklärungen vor allem aus dem damals wichtigsten Nachschlagewerk für jüdische Bräuche – ein auf dem hebräischen Sefer Minhagim basierendem Buch des ungarischen Rabbiners Isaac Tyrnau, das von dem schwäbischen Juden Schimon Levi Ginzburg 1589 ins Jiddische übertragen worden war. Schließlich fügt Wallich noch „74 Talmudische Moralen, die mit Christi Lehr wohl übereinstimmen“ als Anhang bei.
Zweck der Schrift war es, dem „geliebten Leser ein hertzliches Mitleyden mit dem jämmerlichen Zustande des verlassenen Juden-Volcks“ und der „jüdischen Blindheit“ zu ermöglichen, die am deutlichsten werde, wenn man „der Juden Gebräuche mit eigenen Augen ansiehet“. Sie erschien 1708 zum ersten Mal und erlebte mehrere erweiterte Nachauflagen.
Christoph Wallichs autobiografische Einlassungen verraten, dass er in Worms geboren wurde, ursprünglich Anschel Mosche hieß und zunächst Sofer, also Schreiber in der Frankfurter jüdischen Gemeinde war, aber auch, dass er wenigstens zeitweise eine „Teutsche Stadt-Schule“ besucht hat – ein früher Beleg für die Anwesenheit jüdischer Schüler an einer deutschen Schule.
Wenngleich der christliche Überlegenheits-duktus und Missionierungsgeist das Allheilmittel der Zeit und der judenfeindliche Ton auch bei Konvertiten meist durchgängig scharf und polemisch war, bleibt Wallichs Text auffallend neutral. Als intimer Kenner des Judentums konnte er einerseits viel Licht ins Dunkel bringen. Zugleich wurden Konvertiten misstrauisch beäugt, standen unter Rechtfertigungsdruck und fühlten sich bemüßigt, die Standhaftigkeit ihres neuen Glaubens zu betonen. Wallich begnügt sich indes mit Allgemeinplätzen und hält ansonsten einen relativ wertfreien Duktus durch. Er zeigt Respekt gegenüber der Synagoge als Institution: „Doch gestehe ich, ob man zwar kein Heiligthum daraus macht, hingegen auch keine Beschimpffung daran geschicht, und ob schon das Thorah auf Jüdische Mannier nicht geküsset wird, so wird doch das Wort Gottes, so darinnen geschrieben, eben so gut in Ehren gehalten, als sonst die gedruckte Bibel“.
Und er ist stolz auf „seine“ Synagoga: „Und zweiffle ich, ob auf 50 Meilen bey den Juden selbsten eine solche saubere Synagoga wird anzutreffen seyn, da nicht allein das Zimmer gar helle und schön ist, sondern auch alles in Ordnung zu finden, so bey den Juden was seltsames ist…“
Wallichs Buch hat aber auch ausgesprochen komische Stellen. So steht auf dem Deckblatt über dem deutschen Titel ein hebräischer, der übersetzt lautet: „Die Synagoge des Gaon und bedeutenden Rabbis, des Hauptes der Jeschiwa und Hohenpriesters, seiner Ehren, unseres Lehrers, des Rabbis, Rabbi Mayer, möge Gott ihn segnen und bewahren, der in der Stadt Greifswald lebt“. Wallich macht seinen christlichen Patron, den Pfarrer und Dekan Mayer also zum Rabbiner, zum weisen Haupt einer Talmud-Tora-Schule und Besitzer einer Synagoge und listet in seiner Widmung auch noch 18 berühmte Rabbiner auf, die ebenfalls Me’ir bzw. Mayer hießen.
Nachdem Dekan Mayer gestorben war, wurde die „Synagoga“ nach Dresden verbracht, wo sie eine Zeit lang im Zwinger als Teil eines „Juden-Cabinets” zu besichtigen war. Dann verschwand sie spurlos…

