
alptraum meiner schulzeit: vollgeschmierte reclam-bändchen und die aufforderung des lehrers: interpretiere xy, 3. aufzug, 2. szene… .
die verlagsgeschichte ist trotzdem interessant: mit der neuordnung des urheberrechts endet 1867 endgültig, 30 jahre nach ihrem tod, die schutzfrist für die werke der deutschen autoren. anton philipp reclam ist schnell und bringt am 1. november 1867 seine neue universal-bibliothek auf den markt – die ersten beiden bände sind faust I und II, die zuvor nur bei johann friedrich cotta gedruckt werden durften, weil goethe einen exklusivvertrag mit ihm hatte. reclam aber kauft die neusten modernen schnellpressen und papermaschinen, ändert satz und typographie, um den weißraum zu verringern und produzierte so noch billiger als cotta seine bereits preiswerten bücher. die leipziger »neuesten nachrichten« jubeln: »so etwas von preiswürdigkeit ist im buchhandel noch nicht dagewesen.« nach einem halben jahr hat reclam bereits 200.000x den faust abgesetzt – »jede nummer für 20 pfennig überall käuflich«.
aber bald druckt reclam nicht nur deutsche klassiker, sondern auch gegenwartsautoren aus aller welt. 1912 stellt er zudem neuartige »buchautomaten« an öffentlichen platzen, in bahnhöfen, krankenhäusern und hotels auf, aus denen man sich die heftchen wie zigaretten ziehen kann. in den 1930er jahren werden die wegen der hohen reparaturkosten aber leider wieder abgebaut.
»abgebaut« werden jetzt auch jüdische und systemkritische autoren. heinrich heine, franz werfel, arthur schnitzler oder thomas mann (der 1928 in seiner festrede beim 100. verlagsjubiläum den gründervater philipp r. noch als »liberalen geist und »echten idealisten« gelobt hatte). den völkischen beobachter freut’s: »im allgemeinen kann man doch mit dem großen aufräumen bei reclam zufrieden sein. es kommen jetzt tausende deutscher leser, vor allem das volk und die jugend, nicht mehr so leicht an die durchweg gefährlichen jüdischen dichter und schriftsteller heran.« und: »den anordnungen des führers folgend«, wird statt fraktur »für jene bändchen, die bevorzugt im ausland vom deutschen wesen künden sollen, jetzt antiqua verwendet.«
dafür gibt reclam nun, wie bereits im ersten weltkrieg, die »tragbare feldbücherei – eine auswahl guter bücher für schützengraben und standquartier« – heraus, mit jeweils 100 verschiedenen reclam-ausgaben. »ein absurdes szenario«, schreibt ernst bloch, der deutsche soldat sei »tatsächlich mit seinem »kant« im tornister in die schlacht gezogen!«. dem widerstand und den westallierten nutzt die große verbreitung und unaufälligkeit der reclam-heftchen: sie tarnen ihre untergrundliteratur und ihre botschaften an die deutschen soldaten bevorzugt in reclam-einbände, u.a. versteckte sich hinter einem harmlosen einband wie »hermann und dorothea« ein »braunbuch über reichstagsbrand und hitler-terror«.
1943 wird das leipziger graphische viertel durch bomben zerstört, 1946 gehen die meisten noch funktionstüchtigen druckmaschinen als reparationsleistung in die sowjetunion, 1947 zieht der verlag nach stuttgart, ab 1952 betreibt die ddr auf geheiß von kulturminister johannes r. becher den leipziger standort weiter und lässt neben den klassikern für den untericht teilweise immerhin auch einige in ungnade gefallene oder später fallende autoren wie adolf endler, sarah kirsch oder reiner kunze drucken – die »bückware« schlechthin (2006 ist danke wende in leipzig jedoch endgültig schluss, trotz bestsellern wie »schlafes bruder« und autorenentdeckungen wie sibylle berg).
die auffälligen gelben umschläge gabs aber erst seit 1970 (im osten weiß mit blauen reclam-ub-schriftzug, später bio-eierschalen-farben). ganz am anfang waren die einbände lila, dann braun meliert, um stockflecken zu kaschieren, weil philipp reclam meinte: »wenn sie verschossen aussehen, verkaufen sie sich schlecht«.
was dazwischen lag, kann man sich in dem 2018 eröffneten museum in leipzig ansehen, für das der macher unglaubliche 10.000 reclam-exemplare zusammengetragen hat:
