Wäschehaus Grünfeld

F.V. Grünfeld. Charlottenburg und Wilmersdorf waren in den 1920ern die Berliner Bezirke mit den meisten jüdischen Bewohnern. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war die königliche Residenzstadt Ausflugsgebiet für die Berliner, zog aber bereits Industriebetriebe wie Siemens an, was der Stadt ein rasantes Wachstum bescherte. 1893 hatte Charlottenburg erstmals über 100 000 Einwohner, 1910 waren es bereits dreimal soviel. Unter den Neubürgern waren auch viele aufstrebende jüdische Familien. Die berühmtesten Schilderungen des zunehmend mondänen und selbstbewussten Charlottenburger Milieus stammen von jüdischen Autoren, von Georg Hermann in »Jettchen Gebert« und von Walter Benjamin, der am Savignyplatz zur Schule ging, in »Berliner Kindheit um Neunzehnhundert«. Der erste wurde vergast, der zweite brachte sich auf der Flucht vor den Nazis um, bevor man ihn umbringen konnte – so wie die vielen Namenlosen, denen der Bezirk seinen kometenhaften Aufstieg zur City West (1920 wurde die Stadt administrativ in das neue Groß-Berlin eingegliedert) zu verdanken hatte.

Ausdruck des Wunsches nach Gleichberechtigung war beispielsweise der Drang des jungen bürgerlichen Judentums zur Freimaurerbewegung, wie mit der 1895 gegründeten Loge »Zu den drei Sternen« (später »Zum Spiegel der Wahrheit«), deren Logenlokal sich bis 1913 in der Joachimstaler Straße 13 befand, dort, wo bis 2006 die Verwaltung der Jüdischen Gemeinde saß. Gleich um die Ecke, am Kurfürstendamm, verlief die Lebensader des neuen Zentrums. Der Anteil jüdischer Bewohner war hier mit 25 Prozent (1910) besonders hoch. 1907 errichtete Emil Jandorf sein Kaufhaus des Westens, das später in den Besitz des zweiten großen jüdischen Kaufhausimperiums von Hermann Tietz (Hertie) überging, und 1912 wurde die Synagoge in der Fasanenstraße eröffnet. 
(M)ein spektakulärer »Hingucker« entstand in den 1920ern am heutigen Ku’damm-Eck, Ecke Joachimsthaler Straße, als das F.V. ‚Wäschehaus Grünfeld (Foto) sich nach einer kleinen Filiale mit kostenlosem Pendelverkehr zum Haupthaus in der Leipziger Straße) einen hypermodernen, lichtdurchfluteten Konsumtempel mit nie dagewesener kreisrunder Innentreppe und gläserner Fahrstuhlröhre leistete. Die »Grünfeld-Ecke« mit ihrer horizontal dreigeteilten Glasfassade und den auffälligen senkrechten Neonleuchten war schon von Weitem ein Blickfang und fortan der ideale Treffpunkt der Berliner für einen Ku’dammbummel…
Auch die kulturelle und intellektuelle Avantgarde von Else Lasker-Schüler bis Martin Buber hatte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg am Ku’damm zusammengefunden, im Café des Westens, genannt »Café Größenwahn« (Hausnummer 18/19), später dann im Romanischen Cafe, in Nummer 206 betrieb Max Reinhardt die »Komödie«, in Mampes Guter Stube (Nr. 14/15) saß Joseph Roth und schrieb am »Radetzkymarsch«, und Mascha Kaleko dichtete: Ich bin, vor jenen »tausend Jahren«, / Viel in der Welt herumgefahren. / Schön war die Fremde, doch Ersatz. / Mein Heimweh hieß Savignyplatz…
Kein anderer Berliner Bezirk kann (konnte) mit einer solchen Fülle klangvoller, in aller Welt bekannter Namen aufwarten. Hier wohnte der Soziologe Simmel, der Sexualwissenschaftler Hirschfeld, die Kunsthändler Cassirer, die (späteren Hollywood-)Schauspieler Bois und Lorre, die Komponisten Schönberg und Weill, die Schriftsteller Else Ury (»Nesthäkchen«) und Erich Mühsam, der schon 1934 im KZ Oranienburg ermordet wurde. Aber auch jüdische Institutionen gab es hier zu Hauf. Hilfsvereine, Religionsschulen, rituelle Speisehäuser oder etwa das legendäre Palästina-Amt in der Meinekestraße. 
Zurück zum Foto: 1938 begann das Kesseltreiben gegen die in Berlin seit 1889 ansässige Firma Grünfeld, gegen Angestellte, Kunden, Zulieferer, Kreditgeber und sogar gegen Zeitungen, die Anzeigen des Wäschehauses druckten. Den Grünfelds (die meisten männlichen Nachkommen wurden nach Stammvater Falk Valentin mit Anfangsbuchstaben F.V. genannt, so Fritz Vincent und Franz Viktor G.) blieb nichts übrig als weit unter Wert zu verkaufen – an die Konkurrenzfirma Max Kühl (die fortan mit »Grünfeld in deutschem Besitz!« warb). Doch selbst dieser Verkaufserlös wurde den Grünfelds vom NS-Staat wieder abgenommen, als sie bald darauf nach Palästina auswanderten. Die Firma Max Kühl (in deren Geschichtsschreibung die Arisierung nicht vorkommt) überlebte den Krieg bestens, betrieb danach wieder ein Geschäft am Ku’damm, Ecke Fasanenstraße und dann Ecke Grolmannstraße.

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