Das Ende der „Neuen Rheinische Zeitung“

am 19. mai 1849 muss die von karl marx herausgegebene „neue rheinische zeitung“ nach nur einem jahr und der niederschlagung der märzrevolution ihr erscheinen einstellen. die letzte ausgabe erscheint ganz in rot – auf der ersten seite ein gedicht von ferdinand freiligrath und eine fast noch interessantere ode an die frauen von georg weerth:


Proklamation an die Frauen. 
Seit dem 1. Juni 1848, wo die „Neue Rheinische Zeitung“ wie ein fremder Wunderstern drohend und prächtig über Ländern und Meeren heraufstieg und wo das Feuilleton wie ein humoristischer Kometenschweif hinterdrein flackerte, hat dieser Kometenschweif so unbeschreiblich viel geleistet, daß meine freundlichen Leserinnen weinend ihre holden Gesichter verhüllen werden, wenn sie die schreckliche Kunde vernehmen, daß auch dieser Kometenschweif in der augenblicklichen Götterdämmerung der Neuen Rheinischen Zeitung, dem Auge profaner Sterblicher entrückt wird, um vielleicht erst später wieder den Himmel mit seinem lustigen Zickzack zu durchschießen.
„Und scheint die Sonne noch so schön.  
Am Ende muß sie untergehn.“  
Ich habe mich von jeher an die Frauen gehalten; für Männer interessire ich mich selten.
An Euch, ihr schönen Frauen, wende ich mich daher mit diesem Abschiedsstrauß, in dem ich alle Rosen und Disteln meiner unerforschlichen Seele zusammenband. Die Rosen sind natürlich für Euch; die Disteln für Eure allenfallsigen Männer.
Treffliche Männer habt Ihr. Seht nur, was aus Euern Männern geworden ist! Aus jenen großen Staatsmännern, mit denen man nicht einmal mehr die kleinen Kinder bange macht; aus jenen berühmten Gelehrten, vor denen nicht einmal die tollen Hunde die Wasserscheu bekommen; aus jenen gefeierten Bänkelsängern, die durch alle ihre patriotische Begeisterung nur zu einer rothen Nase gelangten, und aus jenen stillen Schwärmern Ur-Deutschlands, die gleich melancholischen Heidschnucken, mit verhängten Schwänzen, über die Lüneburgerheide der Gegenwart, der Sahara der Zukunft entgegenwedeln.
Es thut mir leid, Frau Regierungsräthin, daß Sie sich in Ihrem Herrn Gemahle so geirrt haben. Sie hielten ihn für einen Solon und da kommt er aus der Berliner Nationalversammlung nach Hause zurück und es findet sich, daß er ein rechter Gimpel ist. Ich bedaure dies, Frau Regierungsräthin. Trösten Sie Ihren Mann damit, daß er ein verkanntes Genie sei, aber vor allen Dingen: schaffen Sie sich diesen Menschen vom Halse — ja, ihr Frauen, gebt Euern Männern den Abschied, sie sind keinen Schuß Pulver werth. — — Wer mögte ein Kameel umarmen!
Wunderlich haben uns die Familienväter in den Berliner und Frankfurter Nationalversammlungen mitgespielt. Wärt Ihr Frauen am Ruder gewesen, wahrlich, Alles wäre anders geworden. Lachend hättet Ihr eure ambrosischen Locken geschüttelt und nach kurzen Debatten hättet Ihr irgend einen Adonis zum deutschen Kaiser gemacht und nach drei Tagen hättet Ihr ihn geköpft und aus seinem Blute wären blutrothe Rosen gewachsen, die Blumen der Liebe und der Republik!
Aber das ganze Unheil ist nur deßhalb über Deutschland gekommen, weil man die deutsche Politik bisher für eine ernste, wichtige und nicht für eine Herzenssache hielt. Ihr Frauen seid dazu berufen, diesem Mißverständniß ein für allemal abzuhelfen.
Fragt nicht nach dem: Wie? Ihr wißt es selbst am besten. Laßt eure alten Männer laufen; nehmt neue Männer, revolutionäre Männer — voilà tout!
Wenn es vor vierzig oder fünf und vierzig Jahren hieß: „die Franzosen kommen!“ da liefen alle jungen Mädchen und Frauen eilig an’s Fenster und schoben die Gardinen bei Seite und schauten in die Straße hinaus, halb lüstern, halb verschämt, bis der Tambourmajor kam mit seinem großen Stock, und hinterdrein die lustigen, kleinen Kerle, die ohne Weiteres in die Stadt und in jedes Herz hineinmarschirten. — — Niemals hat es hübschere Kinder gegeben, als nach jenen gesegneten Feldzügen!
Heute heißt es nicht mehr: „die Franzosen kommen!“ nein, „die Ungarn kommen!“ und diese Ungarn sollt Ihr freundlich empfangen. Dies ist die Herzenssache der deutschen Politik. Die Ungarn sind die Franzosen des neunzehnten Jahrhunderts!
Früher lispelten die deutschen Mädchen im Momente des höchsten Glückes: „Du machst mich unglücklich!“ Bald werden sie jubeln: „Du machst mich glücklich!“ Denn die Ungarn werden sich in Deutsche verwandeln und die Deutschen in Ungarn und der Kuß der glücklichen Lippen wird durch Berge und Wälder brennen, bis die Schneefelder Sibiriens aufthauen, und die Kosacken darin ersaufen vom Don bis zum Dniester.
Von Anbeginn seid Ihr Frauen gescheidter gewesen als alle Schriftgelehrten und Pharisäer, aber von Anbeginn wart ihr auch leidenschaftlicher als alle Schriftgelehrten und Pharisäer.
So fahrt denn heraus mit Eurer flammenden Leidenschaft und ergreift Eure zahmen Männer bei ihren liederlichen Zöpfen und hängt sie als Vogelscheuchen wohin Ihr wollt — nur fort mit ihnen!
Die Guillotine wird uns retten und die Leidenschaft der Weiber.
Im Uebrigen empfehle ich mich Euch von ganzem Herzen. Die Nachtigallen singen in den Büschen, die Kugeln pfeifen und meine Proklamation ist zu Ende.
Georg Weerth

Abschiedswort der Neuen Rheinischen Zeitung

Kein offner Hieb in offner Schlacht –
Es fällen die Nücken und Tücken,
Es fällt mich die schleichende Niedertracht
Der schmutzigen West-Kalmücken!
Aus dem Dunkel flog der tötende Schaft,
Aus dem Hinterhalt fielen die Streiche –
Und so lieg ich nun da in meiner Kraft,
Eine stolze Rebellenleiche!

Auf der Lippe den Trotz und den zuckenden Hohn,
In der Hand den blitzenden Degen,
Noch im Sterben rufend: »Die Rebellion!« –
So bin ich mit Ehren erlegen.
Oh, gern wohl bestreuten mein Grab mit Salz
Der Preuße zusamt dem Zare –
Doch es schicken die Ungarn, es schickt die Pfalz
Drei Salven mir über die Bahre!

Und der arme Mann im zerrißnen Gewand,
Er wirft auf mein Haupt die Schollen!
Er wirft sie hinab mit der fleißigen Hand,
Mit der harten, der schwielenvollen.
Einen Kranz auch bringt er aus Blumen und Mai’n,
Zu ruhn auf meinen Wunden;
Den haben sein Weib und sein Töchterlein
Nach der Arbeit für mich gewunden.

Nun ade, nun ade, du kämpfende Welt,
Nun ade, ihr ringenden Heere!
Nun ade, du pulvergeschwärztes Feld,
Nun ade, ihr Schwerter und Speere!
Nun ade – doch nicht für immer ade!
Denn sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!
Bald richt ich mich rasselnd in die Höh’,
Bald kehr ich reisiger wieder!

Wenn die letzte Krone wie Glas zerbricht,
In des Kampfes Wettern und Flammen,
Wenn das Volk sein letztes »Schuldig!« spricht,
Dann stehn wir wieder zusammen!
Mit dem Wort, mit dem Schwert, an der Donau, am Rhein –
Eine allzeit treue Gesellin
Wird dem Throne zerschmetternden Volke sein
Die Geächtete, die Rebellin!


F. Freiligrath

Hinterlasse einen Kommentar