Der „eiserne Gustav“

4. juni 1928. der „eiserne gustav“ kommt pünktlich zu seinem 69. geburtstag mit seiner droschke in paris an.

gustav hartmann (1859–1938), selbst sohn eines kutschers, war erst bäcker, dann kolonialwarenhändler und hatte mit 26 jahren sein eigenes fuhrunternehmen gegründet. seinen spitznamen soll er er sich damit verdient haben, dass er am bahnhof wannsee immer „eisern“ auf den letzten zug gewartet hat. 
mitte der 1920er jahre gab es nur noch 200 kutschperde in berlin, weil sich inzwischen autos und taxen durchgesetzt hatten. mit seiner fahrt wollte der eiserne nun ein zeichen setzen (andererseits besaß er selbst zwei taxen, soll aber ein miserabler chauffeur gewesen sein), zumindest aber hatte er an seinen wagen geschrieben: „der älteste fuhrherr von wannsee, gründer der wannseedroschken, erlaubt sich mit der droschke 120 die letzte fahrt berlin – paris zu machen, da das pferdematerial im aussterbeetat steht.“ 
der legende nach war ihm die idee zu der unternehmung gekommen, nachdem er eines tages eine französin zu kutschieren und die gefragt hatte: „ja, wo kommt denn madame her?“ die madame habe geantwortet: „aus paris aufm pferd“, worauf er getönt habe: „ach, was eine frau kann, das kann ich auch! ich werde sie im nächsten jahr besuchen.“ 
es war die zeit der sportlichen rekorde, so hatte lindbergh gerade seinen transatlantik-flug absolviert. aber auf die idee, sich mit einem einspänner auf einen über 1000 kilometer langen weg zu machen, war noch keiner gekommen. vermutlich wäre der rummel um die fahrt des „eisernen gustav“ auch nicht so groß ausgefallen, hätte der ullstein verlag nicht die tour gesponsert und einen reporter mitgeschickt. mit dabei hatte gustav hartmann auch noch zehntausend postkarten, die ihn auf dem kutschbock zeigten und die er unterwegs verkaufen wollte.
am 2. april 1928 spannte gustav seinen schon etwas klapprigen wallach grasmus an und zuckelte los. von der alsenstraße 11 in wannse aus über magdeburg, hannover, dortmund, köln, trier, metz und verdun, wo er der gefallenen soldaten gedachte, was ihm einige sympathien bei der französischen bevölkerung einbrachte. als er am 4. juni am eiffelturm ankam, erwartete ihn eine begeisterte menge und ein geburtstagsbankett beim deutschen botschafter. genauso war es bei seiner rückkehr nach berlin. am brandenburger tor standen über einhunderttausend schaulustige und jubelten dem imposanten rotbart mit seinem weißen zylinder zu. ernst toller schreibt, „dass dreißigtausend menschen die hüte schwenkten, sechsundachzig geflüsterte und geschriebene, handgeschriebene und getippte liebesanträge gustav erreichten“.
durch die reise berühmt geworden, gründete gustav hartmann anschließend eine stiftung für die „hinterbliebenen von bei der ausübung ihres berufes zu tode gekommenen taxifahrer“.

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