Der jazzende „Zar“ aus dem Gulag

Kennt wer noch Eddie Rosner – den Jazz-„Zar“ aus dem Gulag? 

Geboren als Adolf Rosner (*26.5.1910) und Sohn des polnisch-jüdischen Schuhmachers Ignaty und seiner Frau Rosa in Berlin. Die Familie wohnt mit vier Töchtern und zwei Söhnen in der Georgkirchstraße 5, in der Nähe des Alex. Adolf lernt ab dem sechsten Lebensjahr am Stern-Konservatorium in der Beethovenstraße Violine spielen, dann Trompete an der Musikhochschule in der Kantstraße. Er ist 19, als er bei einem Wettbewerb der weltbesten Trompeter in den USA Zweiter hinter Louis Armstrong wird. Der nennt ihn „mein weißes Pendant“. 
Kurz zuvor war der zierliche Frauenheld mit dem Menjou-Bärtchen bei der erfolgreichsten Jazzband seiner Zeit eingestiegen: Die „Weintraubs Syncopaters“, bei denen auch Friedrich Hollaender eine Zeit lang am Piano saß, treten in den besten Häusern Europas auf, nehmen Platten bei Columbia und Odeon auf und spielen die Musik für fast 20 Filme ein, u.a. „Der blaue Engel“. 1934 löst sich die Band angesichts der zunehmenden Judenhatz auf. Rosner tourt durch Holland und Belgien und lernt in Polen Ruth Kaminska kennen. Sie ist die Tochter der großen Schauspielerin Ida Kaminska, deren Mutter Esther das Jüdische Theater in Warschau gegründet hatte. Adolf und Ruth heiraten 1935 in Warschau. Rosner gründet die „Jack Band“, die in den Warschauer Klubs „Esplanade“ und „Adria“ Riesenerfolge feiert.
In Lodz unterhält er seinen eigenen Nachtklub „Chez Adi“ und er spielt in den Lokalen der legendären, ebenfalls jüdischen Bandleader Artur Gold und Jerzy Petersburski. 1939, kurz nach dem Überfall Deutschlands auf Polen, werden die Instrumente der Band bei einem Bombenangriff zerstört. Ein Teil der Musiker flieht – einem Hollywood-Schinken würdig in Wehrmachtsuniformen verkleidet – in die Sowjetunion.
In Lwów bekommen sie ein Engagement im Klub „Bagatelle“. Dort lernen sie Panteleimon Ponomarenko kennen – 1. Sekretär der KP Weißrußlands und glühender Jazzfan. (In den Anfangsjahren der Sowjetunion galt Jazz als Kunst der unterdrückten schwarzen Minderheit und des amerikanischen Proletariats. Lenins Bildungsminister Lunatscharski schickte Musiker zum Jazz-Studium in die USA und Jazz war als Kinomusik genauso beliebt wie bei 1.-Mai-Kundgebungen.) Der einflußreiche Ponomarenko jedenfalls protegiert Rosner fortan. Er läßt ihn ein Ensemble zusammenstellen und stellt ihm einen Sonderzug zur Verfügung. Adolf ändert seinen Namen in Eddie und tritt mit seinem neuen „Weißrussischen Nationalen Jazzorchester“ zuerst in Minsk und bald an allen Militärstandorten des Riesenreiches auf, unter anderem in Kasachstan, wo 1943 Tochter Erika geboren wird. Die Band erhält Tonaufnahmen, Orden, Vergünstigungen und frenetischen Beifall, wo immer sie hinkommt. 
Die Russen lieben Rosner, sie nennen ihn „Johann Strauß des Jazz“ und dann nur noch: „Der Zar“. 1944 bekommt Rosner vom Verteidigungsministerium eine Suite im Hotel Moskwa zugewiesen, er gibt Privat-Konzerte im Kreml und darf nach dem Sieg im Gorki-Park spielen… Doch die Protektion hält nicht an. 
Stalin läßt den Deutschen, den Juden, den „Kosmopoliten“ fallen und den Jazz als „dekadent und degeneriert“ verbieten. Rosner flieht 1946 mit Frau und Kind nach Polen, wird aber in Lodz verhaftet und zurückgebracht. Man klagt ihn der illegalen Ausreise an, es folgen lange Verhöre in der Lubjanka und endlich eine Verurteilung wegen Art. 58, 1a – „Vaterlandsverrat“ – zu zehn Jahren Arbeits- und Besserungslager. Rosner kommt nach Chabarowsk … und muß wieder ein Orchester zusammenstellen. Das soll patriotische Lieder spielen und „verzauberte die Menschen in der Hölle“, wie Bandmitglied Mordechaj Braun später sagt. 
Doch Eddie Rosner bittet um Verlegung nach Kolyma, ins berüchtigte Straflager Magadan. Er hofft, durch schwere Arbeit im Steinbruch früher entlassen zu werden. Aber auch der Lagerleiter dort ist ein Jazzfreund. Also ein neues Ensemble … „Die Menschen schnappten danach, wie nach frischer Luft“, erinnert sich der Mitgefangene Wladimir Makarow, „sein Orchester war wie ein Banner der Freiheit im Gulag“. In Magadan lernt Rosner Marina Bojko kennen. 
1953 wird die gemeinsame Tochter Irina geboren und stirbt Stalin. Rosner wird entlassen. Ein Ausreisevisum bekommt er nicht. Er darf wieder ins Hotel Moskwa ziehen und eine neue Band gründen. „Der Zar ist wieder da“, heißt es. Rosner spielt im Lenin-Stadion vor hunderttausend Leuten, wird als führender Jazz- und Swingmusiker des Landes gefeiert, soll zeitweise zu den zehn reichsten Leuten Rußlands zählen. 
Doch Rosner will zurück nach Berlin. Er trifft Benny Goodman in Moskau. Duke Ellington erkundigt sich nach ihm. Aber erst als sich seine in Amerika lebende Tochter Erika einschaltet, kommt Rosners Name auf eine Wunschliste, die Präsident Nixon bei seinem Staatsbesuch in Moskau übergibt. Endlich, 1973, darf Eddie Rosner mit seiner neuen Flamme, Galina Hodes, die er 1956 geheiratet hat, nach Berlin ausreisen – ohne Papiere. Seine Plattenverträge werden annulliert, seine Tonaufnahmen vernichtet, sein Vermögen wird beschlagnahmt. 
In Berlin kennt ihn niemand mehr. Er ist fast mittellos und muß lange Lebensläufe und Erklärungen verfassen, um seine Geschichte vor den Behörden zu beweisen. Der Mann, dem Millionen Deutsche und Russen zugejubelt haben, stirbt als „Nobody“ im August 1976 an einem Herzinfarkt – einen Tag, bevor die Bewilligung seines Entschädigungsantrages eintrifft.

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