
am 1.6. 1961 kam die pille in deutschland auf den markt. „anovlar“(„kein eisprung“) von schering wurde still und leise und nur an verheiratete kinderreiche frauen verschrieben und half offiziell gegen menstruationsbeschwerden; der satz „das präparat wirkt empfängnisverhütend“ versteckte sich verschämt im kleingedruckten.
drei jahre zuvor war die erste antibabypille („enovid“) in den usa zugelassen worden; die idee, weibliche hormone zur verhütung künstlich zu produzieren, hatten die frauenrechtlerinnen margaret sanger und katharine mccormick schon in den 1920er jahren; die erfolgreiche herstellung gelang aber erst in den 50ern dank der forschungen von gregory pincus, john rock, carl djerassi und franc colton, in die mccormick inzwischen mehrere millionen dollar investiert hatte.
in deutschland liefen die moralhüter amok, papst paul VI. wetterte in der enzyklika „humana vitae“ gegen empfängnisverhütung und jedweden sex, der nicht der fortpflanzung dient, hochschulprofessoren verfassten die „ulmer denkschrift“ gegen die pille (weil nehme man frauen die angst vor der schwangerschaft, „würden sie hemmungslos“), sexualberatungsstellen gab es noch nicht, und in den köpfen wirkte die (gerade erst abgeschaffte) himmlersche polizeiverordnung fort, nach der kondome, sterilisation und werbung für verhütung verboten war und kinderkriegen bürgerpflicht.
so kam die pille anfangs auch noch kaum zum einsatz oder musste sich von unverheirateten kinderlosen auf umwegen besorgt werden. das änderte sich erst mit der 68er- und studentenbewegung, als sich in der gesellschaft zunehmend durchsetzte, dass die pille nicht „anti baby” war, sondern ein mittel für die weibliche unabhängigkeit und selbstbestimmung, für angstfreien sex, gegen lebensgefährliche abtreibungen durch „engelmacher*innen“ und die seit menschengedenken erste wirklich funktionierende kontrolle über die fruchtbarkeit – tatsächlich eine revolution (die ab mitte der 1970 zu einem anhaltenden „pillenknick“ führte).
im anderen teil deutschlands lief ihr siegeszug unaufgeregter ab. hier brachte der veb jenapharm schon 1965 mit „ovosiston“ eine eigene (grüne) pille im dreimonatspack auf den markt und nahm ihr mit dem begriff „wunschkindpille“ den negativen beigeschmack. anders als im westen, wo das empfängnisverhütende hormon progesteron aus der mexikanischen yamswurzel genutzt wurde, kam im osten mangels yams – achtung, koscher – schweinegalle zum einsatz; sie enthält den gleichen wirkstoff, wurde in allen schlachthöfen der ddr eingesammelt und bei berlin-chemie in kristalline form verarbeitet.
die pille wurde hier im sinne der staatlichen familienpolitik bald auch offensiv beworben. der sozialistische plan sah vor, möglichst viele frauen im arbeitsprozess u n d die geburtenrate hoch zu halten. das familiengesetzbuch von 1965 propagierte weibliche selbstverwirklichung, gleichberechtigung und sexuelle erfüllung (garniert mit marx-engels-zitaten) als bestandteile des „glücks im sozialismus“.
einen „pillenknick“ wie im westen gab es so auch nicht. der staat sorgte für krippenplätze und die arbeitskraft der frauen blieb erhalten. ein wesentlicher unterschied zum westen, aber auch zu anderen ostländern war, dass die pille, um den verbrauch anzukurbeln, (ab 1972) kostenlos abgegeben wurde. da auch abtreibungen kostenlos und deren zahlen vor der pille sehr hoch waren, tat das zudem der staatskasse gut. im ersten gratis-jahr benutzten jedenfalls bereits fast eine millionen frauen in der ddr (bei 18 mio einwohnern) die pille…
als ich dorthin kam, war ihr gebrauch längst so selbstverständlich wie zähneputzen. mit 16 marschierten die ersten mädchen zur frauenärztin, bekamen die bonbons anstandslos verschrieben und fühlten sich (endlich) erwachsen. die pille vorweisen zu können war auch eine art initiationsritus, wie die erste kippe auf dem schulklo, der erste personalausweis oder mopedführerschein…
natürlich wurde sie früher oder später auch geschluckt. vögeln & saufen galt als volkssport nr. 1 (was hätten die armen ossis auch sonst machen sollen, nach paris fahren ging ja nicht). kondome benutzte kein mensch, die risiken wie krebs oder thrombosen waren noch kein thema, aids auch nicht und die pille ermöglichte sorgenfreien spaß ohne ungewollte schwanger- oder vaterschaften (dafür saß die halbe hauptstadt der ddr dann beim facharzt für haut & liebe rum, um sich von anderen nebenwirkungen kurieren zu lassen – aber das ist eine andere geschichte:)
