
Gad Beck sel.A. (30.6.1923 – 24.6.2012)
Ach Gad, ich weiß, dass es dir nicht gut geht und ahne, dass dies der letzte Film* über dich sein wird, in dem du noch selbst die Hauptrolle spielen kannst – eine Rolle, die dir so gut steht, dass man nicht genug vom Hinsehen und -hören bekommt. So wie diese jungen Regisseure, denen du dein Leben erzählt hast, auch wenn du nur einem Spielberg zutraust, es zu verfilmen.
Gleich am Anfang dieses Babyfoto: kleine fette Engel – du und deine Zwillingsschwester Margot. Was sagt sie? „Eins muss ich gleich mal klarstellen: Mit dem Puppenwagen hat er gespielt, nicht ich“. Ja ja, das wissen wir doch. Du bist schwul, so schwul, dass alles andere „unnormal“ wäre. Ein schwuler Jude, einer, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt, schon zu Zeiten, als das noch nicht „und das ist auch gut so“ war.
Und sonst? Du bist in der armen Berliner Mitte aufgewachsen, wechselst auf die Jüdische Schule in der Großen Hamburger, als die Pöbeleien unerträglich werden, bist Zwangsarbeiter in einer Kartonagenfabrik. Dazwischen erste Liebe(n). Als „Geltungsjude“ landest du mit Vater und Schwester bei der „Fabrikaktion“ im Sammellager Rosenstraße und erlebst das Unglaubliche: „Deutsche demonstrieren für ihre jüdischen Verwandten, hier, mitten in Berlin“. Doch deine große Liebe, Manfred Lewin, und seine gesamte Familie werden ermordet. Du und Margot, ihr kommt frei, taucht unter, schließt euch der Widerstandsgruppe Chug Chaluzi an. Fortan lebt ihr als U-Boote, ohne Papiere, Lebensmittelkarten und Dach überm Kopf. Kurz vor Kriegsende fliegt eure Gruppe noch auf, ihr werdet verhaftet. Einer deiner damaligen Freunde erinnert sich: „Bei Gad haben sie Gedichte gefunden, selbst geschriebene, gegen die Nazis… Mann, hat der Dresche bekommen“. Du selbst erinnerst dich an das Gefängnis aber lieber so: „Ich liege da, wahrscheinlich malerisch anzuschauen…“ und „plötzlich steigt ein russischer Offizier die Treppe runter – wie ein Filmheld… holt einen Zettel raus und sagt: Is do ejner, wos hejst Gad Beck? – Ich melde mich. – Und er fällt auf die Knie und sagt: ‚Brider, du bist frej’.“
Ach Gad. Deine Erzählungen sind so malerisch, so wunderbar „politisch unkorrekt“ und so nah am Leben.
Wer anders als du hätte so souverän Israelfähnchen auf dem Christopher Street Day schwenken können. Wer anders als du redet so locker über Alter, Krankheit oder über die „einschlafende“ Sexualität. Wer anders als du hätte Generationen von nichtjüdischen Besuchern im Gemeindehaus die Berührungsängste nehmen und dieses befreiende Lachen hervorrufen können, das deine Vorträge immer begleitet hat, die doch ein einziges Wechselbad der Gefühle waren. Mit deinem Witz, deiner Direktheit und fröhlichen Zugewandtheit warst du nicht nur das Enfant terrible des Gemeindehauses, sondern auch der beste Multiplikator und Vermittler zwischen den Welten, den man sich nur vorstellen kann.
Und wo hast du nicht alles getalkt und gelesen – der Film zeigt Ausschnitte aus „Bios Bahnhof“, „Liebe Sünde“, dem Washingtoner Holocaust Memorial Museum, deine Führungen durch das „Scheunenviertel“. Wie du aufblühst vor Publikum – immer der begnadete Erzähler und Ausschmücker, der schon als Kind wilde Stories erfand und manch einer wahren Episode hollywoodlike und mit vollem Körpereinsatz noch das eine oder andere Sahnehäubchen aufsetzt – „um die Nähe zu spüren“ zu den Zuhörern. Ach Gad, du, immer auf der Suche nach Verbündeten in der Einsamkeit.
Deine jungen Filmfreunde verwenden viel Energie drauf, herauszufinden, ob du nun mit HJ- oder SS-Uniform oder gar nicht in die Deportationssammelstelle einmarschiert bist, um deinen Liebsten herauszuholen. Was macht das schon? Und ist es nicht das, was die Leute hören wollen? Aber mit oder ohne romantisch-heroisches Zwischenspiel: Dein Manfred ist tot, er hat sich dafür entschieden bei seiner Familie zu bleiben, statt mit dir in die Freiheit zu gehen. Er ist bei ihr geblieben und ist mit ihr vergast worden. Darüber bist du nicht hinweggekommen. Was dir von ihm geblieben ist, ist ein Heftchen mit Gedichten und Zeichnungen, und deine Version(en) der Geschichte. Du hast ein Recht darauf.
Deine „Jungs“ aus der Gruppe von damals – Zvi Aviram und die inzwischen verstorbenen Jizchak Schwersenz und Hans-Oskar Löwenstein – tragen ohnehin ihre Sicht der Ereignisse bei. Und wenn du ein bissel flunkerst und „heruminszenierst“ – so what! Dafür lieben wir dich schließlich, für die großen Gesten und die kleinen Eitelkeiten, für deine Fabulierlust und deine stete Weigerung, ein Opfer zu sein (lieber erzählst du erotische Abenteuer). Der Film zeigt dich, wie du bist und immer warst, selbstironisch und verletzlich. Und er zeigt auch die Filmemacher ohne Tarnkappe, mit ihren Fragen, Zweifeln und Versuchen, sich dem Wundertier Gad zu nähern.
Das letzte Bild ist ein Gruppenfoto mit vielen altbekannten Gesichtern, aufgenommen auf der Treppe vor dem Gemeindehaus. Ach Gad, du warst der heimliche König der Fasanenstraße, na gut, dann eben die Königin… Ich bin froh, dass es diesen Film gibt. Auch wenn niemand dein Leben wirklich verfilmen kann, nein, nicht mal Spielberg.
* „Freiheit des Erzählens. Das Leben des Gad Beck“. (Dokumentarfilm von Carsten Does und Robin Cackett)
