
friederike kempner, die jüdische gutsherrentochter aus schlesien (1828–1904), war ihrer familie so peinlich, dass die versuchte, komplette auflagen ihrer gedichte aufzukaufen. selbst theaterkritiker alfred kempner, obwohl nur über hundert ecken mit ihr verwandt, änderte seinen namen in kerr*
[Gehabt euch wohl:]
Gehabt euch wohl,
Gott segne euch,
Euch alle im Sonnenlicht,
Dich Vöglein, Röslein, Immergrün,
Die Dornen und die – Würmer nicht!
[Schweiß:]
Willst gelangen Du zum Ziele,
Wohlverdienten Preis gewinnen,
Muß der Schweiß herunter rinnen
Von der Decke bis zur Diele!
[Abdel-Kaders Traum:]
Wolkenloses himmlisches Gewölbe,
Unter mächt’gen Palmen Purpurzelt,
Eine Reiter-Karawane hält,
Auf dem Boden Wüstensand, der gelbe.
Krachend unterirdisches Gewölbe,
Fünfzehnhundert Leichen, tiefentstellt, –
Jede Leiche war ein wackrer Held, –
Speit die Flamme rasselnd aus, die gelbe.
Solch‘ ein Traumbild Abdelkader grüßte,
Trunken er der Heimat Boden küßte:
»Allah, Allah« – ruft er, – »meine Wüste!«
»Pellissier, Dein fürchterlicher Brand!« –
Plötzlich sich der Held im Traum ermannt,
Seine Blicke trafen Kerkerswand!
[Das Tier:]
Hat Er es nicht gleich uns geschaffen?
Mit gleichen Sinnen auch versehen?
Es liebt, und haßt, fühlt Weh und Freude:
Das müßt ihr ja doch zugestehen,
Daß es nicht auch französisch spricht,
Das ändert doch die Sache nicht! –
[Willst Du nach den Sternen fragen:]
Willst Du nach den Sternen fragen,
Werden sie Dir Antwort sagen?
Schönheit freilich ist es nicht,
Was nur aus dem Staube spricht.
Schön ist nur das Große, Reine,
Meer und Feuer, Sonnenscheine,
Schön ist auch Vergißmeinnicht
Und ein treues Augenlicht!
Alles Gute, Rechte, Biedre,
Aber alles Andre, Niedre,
Häßlich, scheußlich, ekel ist,
Duftig nimmer ist der Mist.
[Die Welt ist ein Rätsel:]
Die Welt ist ein Rätsel,
Man ratet es nicht.
Und will man’s erraten,
Das Herz einem bricht.
[Du lässest den Menschen steigen:]
Du lässest den Menschen steigen
Hinauf bis zum höchsten Berg,
Dann lässest Du ihn sinken
Hinab bis zu einem Zwerg. –
[Amerika:]
Amerika, Du Land der Träume,
Du Wunderwelt so lang und breit,
Wie schön, sind Deine Kokosbäume,
Und Deine rege Einsamkeit!
friederike kempner wurde häufig parodiert; die folgenden gedichte werden ihr zwar gern zugeschrieben, stammen aber von anonymen nachahmern:
[Johannes Kepler:]
Ein ganzes Blatt der Weltgeschichte
Du hast es vollgemacht!
[Frühling:]
Wenn der holde Frühling lenzt
Und man sich mit Veilchen kränzt
Wenn man sich mit festem Mut
Schnittlauch in das Rührei tut
Kreisen durch des Menschen Säfte
Neue ungeahnte Kräfte –
Jegliche Verstopfung weicht,
Alle Herzen werden leicht,
Und das meine fragt sich still:
„Ob mich dies Jahr einer will?“
[Klar:]
Eins ist mir klar zu jeder Frist:
Das Leben ist so, wie es ist!
Denn selbst, wenn’s würde anders sein,
Stimmt’s mit sich selber überein.
Sodaß man dann auch sagen müßt:
Das Leben ist so, wie es ist.
[Indisches:]
Im Gebüsch gestreckt
Ruhet Hindu faul,
Gift’ge Schlange leckt
Gierig sich das Maul.
Nimmt erst Anlauf dann
Springt auf Hindu ein,
Schlägt dem armen Mann
Giftzahn ins Gebein.
Hindu fliehen will –
Glieder sind verkrampft –
Bet’t zu Buddha still
Und verscheidet sanft.
[Letzte Mahnung:]
Und wenn ich dereinst ‘mal sterbe,
Mahnet euch der Musen Chor:
Nicht enthaltet dieses Erbe
Euren Nachekommen vor!
friederike kempners antwort auf ihre kritiker und parodisten:
[Dumme Jungen:]
Dumme Jungen, Pamphletisten,
Schlechte Juden, schlechte Christen
Legten Dynamit und Gift,
Keins von beiden je mich trifft.
Anonyme Flüche blitzen,
Zünden, treffen und erhitzen
Nur den Fluchenden allein.
Armer Flucher, urgemein!
*alfred kerr wurde zeitlebens wegen oder mittels der vermeintlichen tante aufgezogen, wenn seiner gegenseite die argumente ausgingen. als bertolt brecht das wieder einmal versuchte, antwortete kerr öffentlich, im berliner tageblatt:
…Gute Tante, schlummre selig,
Gute Tante, schlummere brav.
Leider Gottes scheuchen schmählich
meine Gegner Dir den Schlaf.
Auf dem Friedhof und Gebeinfeld
Weckt Dich manchmal Yyyya-Schrein.
Wenn dem Esel sonst nichts einfällt
Fällt ihm meine Tante ein.
