12.8.1952
ein brief des jiddisch-autors lev berinski an einen kollegen beim exil-p.e.n. beginnt: „lieber freund, was ich sie hier fragen will, hat nicht direkt etwas mit unserem heutigen thema zu tun – und doch: wann, in welchem jahr, monat und tag starb rainer maria rilke? erich maria remarque? thomas mann? stefan zweig? bertolt brecht? heinrich böll?
wenn sie kein diplomierter literaturhistoriker sind, müssen sie in einem lexikon blättern, nicht wahr?
für einen jiddischen leser aber, der auch nur oberflächlich in der jiddisch-sowjetischen literatur orientiert ist, wären das keine echten fragen: die geburtsdaten – vielleicht schon, aber der todestag der führenden jiddischen schriftsteller? der ist gar einfach zu behalten, bitte:
david bergelsson 1884 – 12.8.1952
david hofstein 1889 – 12.8.1952
lejb kwitko 1890 – 12.8.1952
perez markisch 1895 – 12.8.1952
itzik fefer 1900 – 12.8.1952
(…)“
was am 12.8.1952 geschah: stalin ließ 13 jüdische schriftsteller, künstler und intellektuelle erschießen, und löschte damit ein ganzes kulturreich aus.
außer fefer, bergelson, hofstein, kwitko und markisch sterben an diesem tag im keller der lubjanka solomon losowski (ex-vizeminister für außenpolitik), boris schimeliowitsch (arzt), leon talmi (journalist und übersetzer), emilia teumin (verlegerin), ilja watenberg (verleger), tschajka watenberg-ostrowskaja (übersetzerin), benjamin suskin (schauspieler) und josef jussufowitsch (historiker). vorher waren bereits hingerichtet worden oder in lagern gestorben: u.a. die autoren, literaturwissenschaftler bzw. linguisten viktor alter (17.2.1942), nachum lewin (23.11.1950), schmuel persow (23.11.1950), der nister (4.6.1950), elye spiwak (4.4.1950), itzhak nusinow (1951), jecheskiel dobrushin (1952) und henryk erlich (14.5.1942 suizid); die liste ist unvollständig.
die meisten der genannten waren mit dem „jüdischen antifaschistischen komitee“ und dessen kopf, dem schauspieler solomon michoels verbunden, der bereits anfang 1948 durch einen fingierten autounfall ermordet worden war. das komitee war 1942 auf geheiß von stalin gegründet worden und sollte die juden im ausland für den antifaschistischen kampf mobilisieren und für die sowjetunion werben. vor allem michoels und fefer waren in den kriegsjahren international, u.a. in den usa, unterwegs und vernetzten sich mit jüdischen organisatoren und akteuren. doch nach ende des krieges und mit einsetzen des kalten krieges wurden die beiden und alle aus dem umfeld des komitees schnell beschuldigt, gemeinsame sache mit dem klassenfeind gemacht und sich für jüdische belange außerhalb der udssr (u.a. für die palästina-frage) engagiert zu haben. das komitee wurde liquidiert, die jüdischen schriftstellervereinigungen zerschlagen, jiddischsprachige verlage, schulen und theater geschlossen und mit anklagen, die jeden wahrheitsgehalts enbehrten, große teile der jüdische intelligenzia verhaftet, 430 personen. die „ermittlungen“ zogen sich drei jahre hin, für die verhafteten bedeutete das ständige verhöre, schlafentzug, stundenlanges stehen, schläge, zellen ohne heizung, licht, betten usw. im märz 52 wurden 15 angeklagte wegen „spionage“ vor gericht gestellt, alle verweigerten ein schuldeingeständnis und alle wurden zum tode verurteilt, bis auf die biologin lina schtern, die fünf jahre verbannung bekam und auf solomon bregman, dessen prozess wegen krankheit verschoben wurde und der 1953 im gefängnis starb. aber da liefen bereits die nächsten schauprozesse, diesmals gegen jüdische ärzte…
foto: treffen aus den anfängen des komitees, sitzend v.l.n.r. samuel marschak, peretz markesch, david bergelson, solomon michoels, b. jofan, ilja ehrenburg; stehend v.l.n.r. jakob flier, david oistrach, itzhak nusinov, jakov sak.

