am 5. juli 1922 wird der nansen-pass für staatenlose flüchtlinge und emigranten eingeführt
flüchtlinge gibt es, seit es menschen gibt. auch nach dem ersten weltkrieg waren 9,5 millionen menschen auf der flucht, davon über eine million russen, die sich vor den bolschwiki, dem hunger und bürgerkrieg ins ausland abgesetzt hatten. mit dem verlassen der sowjetunion bzw. nachdem lenin 1921 beschlossen hatte, allen russen im ausland die staatsbürgerschaft zu entziehen, saßen sie nun in massen ohne gültige papiere und ohne rechte irgendwo in europa fest und konnten nicht hin und nicht zurück. in der fremde, ohne papiere, von keinem gewollt und von keinem geschützt – das ist die realität vieler geflüchteter heute, und damals sah es nicht anders aus.
es war der norweger fridtjof nansen, im früheren leben polarforscher, nun hochkommissar für flüchtlingsfragen des völkerbundes, der das problem lösen wollte und auf ein international gültiges reise- und ausweisdokument drängte. und tatsächlich unterzeichneten 31 staaten des völkerbundes am 5. juli 1922 ein internationales abkommen über den „staatenlos-pass“, den nansen sich ausgedacht hatte (später kamen 22 weitere staaten hinzu).
der erste besitzer eines nansen-passes, wie der ausweis bald auch offiziell nur noch hieß, war der aus pommern stammende jüdische nietzsche-forscher oscar levy, der als „former alien enemy“ aus grossbritannien wieder ausgewiesen worden war. die meisten pässe aber wurden für staatenlose russen ausgestellt, bis die berechtigung mit jeder krise auf neue flüchtlingsgruppen ausgeweitet wurde, auf armenier, auf christliche minderheiten aus dem früheren osmanischen reich, auf saarland-flüchtlinge, auf menschen aus der zerbrochenen k&k-monarchie.
marc chagall hatte einen nansen-pass, igor strawinski, aristoteles onassis, anna pawlowa… der ausweis war ein provisorium. er war nicht mit einem vollwertigen reisepass zu vergleichen. nansen hatte sich ja auch ausgemalt, dass die geflüchteten später wieder in ihre heimat zurückkehren könnten und würden, was aber nur selten passierte. der ausweis wurde von dem staat ausgefüllt, in dem sich der flüchtling aufhielt, musste jedes jahr verlängert werden und galt nur in den ländern, die die vereinbarung unterzeichnet hatten. aber immerhin. vladimir nabokov nannte den nansen-pass zwar ein „höchst minderwertiges dokument von kränklich grüner farbe“ und befand: „sein inhaber war wenig mehr als ein auf bewährung entlassener verbrecher und hatte die größten strapazen auf sich zu nehmen, wenn er etwa ins ausland reisen wollte – je kleiner die länder, desto mehr umstände machten sie.“ doch viele andere waren froh, wenigstens ihn zu besitzen und reisten auch nicht durch die welt. er gab ihnen einen gewissen schutz, gewisse rechte und den heimat- oder teilweise ohne papiere sogar identitätslos gewordenen ein stück sicherheit und würde zurück. es war eine erste gemeinsame internationale lösung für eine gemeinsames internationales problem. nansen erhielt 1922 den friedensnobelpreis dafür. sein pass wurde 1946 durch das london agreement travel document und das reisedokument der genfer flüchtlingskonvention von 1951 ersetzt. #niemandistillegal




