Die „Brücke“-Kindfrau

wer ist dieses mädchen, haben sich kunstwissenschaftler lange gefragt: sie hieß lina franziska fehrmann, am 11.oktober 1900 geboren und das jüngste von 15 kindern eines schlossers und einer putzmacherin aus dem armen dresdner „topfmacherviertel“. 
„fränzi“ war zugleich das jüngste und wichtigste modell der brücke-künstler kirchner, heckel und pechstein, ihre ikone und ihr markenzeichen. sie saß den malern im alter von acht bis zwölf jahren in dresden und moritzburg, bis die gruppe ende 1911 nach berlin umzog. die forschung geht inzwischen davon aus, dass auch deren (teilweise erst nachträglich oder von sammlern) mit „kind“ oder „marcella“ betitelten bilder fränzi zeigen bzw. dass marcella ihr kosename war.
ab 1905 haben sich die brücke-maler vermehrt mit den stufen der entwicklung von kind zu frau, dem androgynen, der bewegung im gegensatz zum statischen posieren usw. befasst. fränzi nahm dabei eine stilbildende rolle ein, gezeichnet auf rollschuhen, beim schaukeln, baden oder tanzen. ihre knabenhafte gestalt, ihre hibbeligkeit und ungezwungenheit kam zudem dem interesse der maler für die „primitive“ kunst, für den „unschuldigen naturmenschen“, für eckige konturen, für unakademisches zeichnen, die reduzierung von formen, flächen und farbe(mischungen) entgegen – fränzi ist auf über 50 ihrer bilder und auf unzähligen skizzen zu sehen. 
seit den 1990ern, lange vor metoo, wird angesichts des sichtlichen mixes aus exotik und erotik auf manchen brücke-bildern teilweise wild in richtung kindesmißbrauch spekuliert (von „wie pädophil war ernst ludwig kirchner wirklich?“ in der mottenpost bis „kirchners lolitas“ im spiegel). tragfähige belege gibt es dafür bis heute nicht.
fränzi fehrmann hatte kein einfaches leben. sie bekam mit 16 das erste, mit 22 jahren das zweite kind, arbeitete später als buchbindergehilfin, wurde herzkrank und starb 1950. kirchner hatte sie 1926 noch einmal in dresden besucht: „…fränzi selbst ist sehr trüb und traurig gestimmt durch ihr pech mit den kindern. ihre jugenderinnerungen an moritzburg etc. sind auch ihr das liebste im leben…“.

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