Phantom Störtebeker

am 20. oktober 1401 wurden bei hamburg um die 70 vitalienbrüder enthauptet. und die leute, die jedes jahr zu den störtebeker-festspielen nach rügen pilgern, müssen jetzt tapfer sein. denn ob unter den hingerichteten ein klaus störtebeker war und ob der von rügen kam – dafür gibt es keine belege. dafür aber umso mehr vermutungen, legenden und theorien um einen mann, der vielleicht gar nicht existiert hat, oder nicht das war, was ihm zugeschrieben wird oder der aus verschiedenen personen zusammengebastelt wurde… 
erstmal: wer waren die vitalienbrüder? eigentlich keine piraten. sondern söldner (arme und geflohene leibeigene), die herzog albrecht II. von mecklenburg angeworben hatte, um dem von dänemark besetzten schweden zu helfen. sie versorgten die schwedische bevölkerung mit viktualien (lebensmitteln) und wurden nach den französischen „viktualien-“ oder „vitalienbrüdern“ genannt, die im 14. jh. im krieg gegen england dem französischen heer die lebensmittel geliefert hatten. nachdem die dänen erfolgreich aus schweden vertrieben worden waren, gab ihnen albrecht II. kaperbriefe in die hand, die ihnen das kapern erlaubten und damit, den dänischen handel zu schädigen. die beute verkauften die vitalienbrüder mit genehmigung des landesfürsten auf den märkten von rostock und wismar. eigentlich waren sie also gar keine seeräuber, sondern klauten im höheren auftrag. mit dem friedensabkommen von 1395 verloren sie jedoch ihren auftraggeber, verzogen sich nach visby auf gotland und begannen, auf eigene rechnung schiffe zu überfallen. der legende nach verteilten sie die beute gerecht untereinander und gaben armen davon ab, und wurden daher auch „ikedeeler“ (gleichteiler) genannt. als sie vom deutschen orden von gotland vertrieben wurden, verließen sie die ostsee und suchten sich in (ost)friesland neue auftraggeber. eine der gruppen wurde bei helgoland von einer flotte aus hamburg und lübeck gefasst und auf dem grasbrook bei hamburg hingerichtet. der scharfrichter rosenfeld aus buxtehude soll den job gemacht haben. womit wir wieder bei klaus wären, der ohne kopf noch an elf seiner männer vorbeigelaufen sei, weil der bürgermeister versprochen habe, denen das leben zu schenken usw.
de facto taucht der name klaus stortebeker im zusammenhang mit geköpften in den quellen aber erstmals in hermann korners „chronica novella“ von 1435 auf, also eine generation nach der hinrichtung der vitalienbrüder in hamburg, hier noch in der version clawes, später dann nikolaus, noch später klaus. nach späteren legenden wiederum war störtebeker (niederdeutsch: „stürz den becher“) nur ein spitzname für einen trinkfesten vitalienbruder. 
zu seiner angenommenen lebenszeit (als geburtsdatum wird gern 1360 genannt) gibt es erwähnungen von personen mit diesem oder einem ähnlichen namen: im sogenannten ‚verfestungsbuch‘ der stadt wismar von 1380, wo einem nicolao stortebeker (nikolaus störtebeker oder storzenbecher) bei einer schlägerei knochenbrüche zugefügt wurden und in englischen klageakten, in denen es um angriffe auf englische handelsschiffe zwischen 1394 und 1399 geht. als geburtsort wird je nach lust und laune geschlussfolgert: hamburg, insel rügen, wismar, rotenburg (wümme)/verden (aller) oder „irgendwo“ in mecklenburg.
die inzwischen wahrscheinlichste variante ist aber die, dass sich die historischen quellen auf einen mann names johann stortebeker beziehen – kaufmann, kapitän und fehdehelfer aus danzig. er kommt erstmalig 1405 in deutschen gerichtsakten vor, als zu einer geldstrafe verurteilt wurde, weil er eine handelssperre gegen england missachtet hatte. er war im jahre 1400 von albrecht von holland namentlich per vertrag mit 114 anderen vitalienbrüdern angeworben worden, um die konkurrenz im handel, die hanse, zu schwächen. und taucht dann noch einmal 1413 in den akten auf, als er vom englischen könig heinrich V. mit 40 mann besatzung unter vertrag genommen wurde, um englische handelsschiffe zu beschützen, kann also nicht 1401 in hamburg hingerichtet worden sein. und auch der schädel eines in hamburg um 1400 hingerichteten, der 1878 beim bau der speicherstadt auf dem grasbrook gefunden wurde, und mit dessen hilfe man vor ein paar jahren eine rekonstruktion der gesichtszüge von störtebeker angefertigt hat, dürfte einem anderen gehören.

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