Tycho Blase, Brahes Nase

als kind hat mich meine mama mal zum denkmal von tycho brahe geschleppt und mir erzählt, der arme sei gestorben, weil er sich bei einem bankett am königshof nicht getraut hatte, vom tisch aufzustehen, obwohl er dringend pinkeln musste und dass ihm deswegen die blase geplatzt sei. und er außerdem eine goldene nase hatte. was sie über brahe als berühmten astronomen erzählte, hab ich sofort wieder vergessen, die schauergeschichte natürlich nicht. eigentlich fällt mir beim namen tycho brahe bis heute immer nur das eine ein: aua! volle blase!
tatsächlich sind die umstände von brahes tod bis jetzt nicht wirklich geklärt. feststeht, dass der 54jährige am 13. oktober 1601 in prag an einem festbankett von rudolf II teilnahm, reichlich bier trank, wegen starker schmerzen die tafel irgendwann doch verließ und unter schrecklichen qualen elf tage später – heute vor 418 jahren – starb. und tatsächlich wurde kolportiert, er hätte einen blasenriss erlitten, weil eben die hofettikette den gästen untersagte, sich vor dem kaiser vom tisch zu erheben. anderseits hielten mediziner eine ohne äußere einwirkung gerissene blase eher für unwahrscheinlich. doch es gab und gibt auch andere theorien.
zuerst mal verschwörungstheorien aller art. tycho hatte lange am dänischen hof gelebt, bis er beim neuen könig christian IV in ungnade fiel, und als hofmathematiker zu rudolf II nach prag wechselte. für die zeitgenossen ein indiz dafür, dass christian ihn hatte vergiften lassen. als möglicher auftragsmörder taucht in der neueren literatur brahes cousin erik auf, dessen in einer geheimschrift abgefassten privataufzeichnungen erst vor ein paar jahren entdeckt wurden. wer will, kann aus ihnen herauslesen, dass christian IV brahe beseitigen wollte, weil er ihm eine affäre mit seiner mutter, sophie von mecklenburg, unterstellte (die ihn aber wahrscheinlich nur wegen ihres großen interesses für seine wissenschaftlichen arbeiten so häufig besucht hatte) und dass eriks „mea culpa“-bekundungen mit brahes tod zu tun haben. 
dann der junge johannes kepler: der adlige brahe hatte den begabten schwäbischen habenichts als assitenten nach prag geholt, und der soll ihn aus neid um die ecke gebracht haben (er bekam unmittelbar nach brahes tod auch dessen stellung am hof). 2004 schrieben joshua und anne-lee gilder ein buch über den angeblichen giftmord durch kepler; die deutsche kepler-gesellschaft dementierte erbost.
die mordtheorien fußen jedoch hauptsächlich auf dem umstand, dass in brahes barthaaren eine extrem hohe konzentration an quecksilber gefunden wurde. seine gruft in der teyn-kirche war 1901 zum ersten mal geöffnet und der bart, nachdem er jahrzehnte im tschechischen nationalmuseum gelegen hatte, in den 1990ern an der sternwarte von aarhus aufbewahrt und untersucht worden. diskutiert wurde aber auch, ob brahe sich vielleicht selbst vergiftet hatte, weil er in seinem nebenberuf als alchimist mit großen mengen giftigen quecksilbers herumhantierte und beispielsweise mittel gegen syphilis herstellte.
um den spekulationen ein ende zu bereiten, wurde brahes skelett 2010 nochmals exhumiert. die dänischen forensiker stellten nun eindeutig fest: brahe hatte zwar quecksilber an den haaren, nicht aber in den haarwurzeln und auch nicht in den knochen – ergo kein „akutereignis“ und kein mord. die das-wasser-halten-müssen-theorie war wieder da: blasenriss oder/und eine schwere blasenentzündung plus harnverhalt.
2018 nahmen sich wissenschaftler der uinversität durham der sache noch einmal an, analysierten die knochenreste mit den neusten technischen mitteln und studierten die zeitgenössischen aufzeichnungen, u.a. die des brahe-freundes und arztes jan jessenius. diesmal wurde brahe vor allem eins bescheinigt: fettleibigkeit, (eine unbehandelte) diabetes und schwerster alkoholismus, eine kombination, die ebenfalls zum tod geführt haben kann. kann. wir sind also mit der sache noch nicht am ende. bis dahin hat meine mama recht (denk an tycho, geh auf’s klo, wenn du musst!) und außerdem hab ich dank der exhumierungsergebnisse heute gelernt, dass brahes nasenprothese – seine leibliche nase hatte er bei einem duell um eine mathematische formel in rostock verloren – doch nicht aus gold oder silber war, sondern nur aus messing.

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