Weltreisende Reporterin

72 tage, 6 stunden, 11 minuten, 14 sekunden dauerte die reise „in 80 tagen um die welt“, zu der nellie bly am 14. november 1889 aufbrach. bly soll jule vernes romanfigur phileas fogg hinterherfahren und für joseph pulitzers tageszeitung „new york world“ darüber berichten. eine million leser beteiligen sich an dem wettbewerb, etappenweise ihr reisetempo zu erraten. bly absolviert die 32800 Kilometer in neuer rekordzeit, vor allem aber tut sie es allein, ohne männliche begleitung – in einer zeit, in der frauen weder wählen noch selbständig bankgeschäfte usw. tätigen dürfen.
die so harmlos mädchenhaft und lustig wirkende frau ist da gerade 25 jahre alt und hat bereits eine aufsehenerregende karriere hinter sich. mit 21 macht sie zum ersten mal auf sich aufmerksam, als sie in einem brillianten leserbrief einen kolumnisten „rund macht“, der geschrieben hatte, frauen sollten gefälligst zuhause sitzen, statt arbeiten zu gehen. kurz darauf wird sie reporterin, ändert ihren namen von elizabeth jane cochran in nellie bly – und wird als diese die „mutter“ des investigativen journalismus‘ und eine vorkämpferin für frauen- und menschenrechte.
ihren spektakulärsten undercover-einsatz hat sie schon mit 23. eigentlich will bly auf einem auswandererschiff von europa nach amerika übersetzen, um auf die zustände an bord und die situation der migranten aufmerksam zu machen. stattdessen schickt ihr chef sie nur „um die ecke“ auf die blackwell’s island im east river. sie soll sich in das „new york city lunatic asylum“ einschmuggeln, eine gerüchteumwabberte gefürchtete frauenpsychiatrie. ein filmreifer auftritt: zunächst spielt sie verrückt, um überhaupt aufgenommen zu werden. das gelingt ihr bravourös, genauso wie zehn tage unerkannt in der irrenanstalt zu bleiben und sich notizen zu machen. ihre authentischen berichte über den unmenschlichen umgang mit den insassinnen und über einzelne schicksale machen sie über nacht zum medienstar.
es bleibt nicht bei diesen zwei großen stories. bly deckt im alleingang einen skandal nach dem anderen auf, so die illegalen aktivitäten des new yorker politikers edward r. phelps (was zu dessen amtsenthebung führte), sie überführt mehrere mitglieder der new yorker regierung der korruption, interviewt anarchistinnen wie emma goldman, ist undercover als vermeintliche prostituierte im central park unterwegs und als elefantendompteurin.
1894 heiratet sie den 40 jahre älteren großunternehmer robert seaman (die klatschpresse dreht durch) und reformiert nach dessen tod 1904 seine „iron clad manufacturing company“, sorgt für bessere entlohnung und gesundheitsversorgung der arbeiter und betätigt sich als konstrukteurin. sie läßt eine neuartige milchkanne, eine stapelmülltonne und stahlfass für den transport von öl und flüssigkeiten aller art patentieren, das bis heute standard auf dem amerikanischen mark ist. die firma geht wegen betrügereien ihrer geschäftsführer irgendwann trotzdem pleite und bly kehrt zum journalismus zurück. sie berichtet von den osteuropäischen kriegsfronten, von der pariser friedenskonferenz und engagiert sich – zurück in den usa – bis zu ihrem tod 1922 für das frauenwahlrecht, für unverheiratete mütter, einwanderer und arme.
wer lust auf den unprätentiösen, frischen, selbstironischen stil von nellie blys reportagen hat: „around the world in 72 days“ und „ten days in a mad-house“ findet man leicht im netz (schön auch die zeitgenössischen illustrationen dazu), die deutschen übersetzungen – „die schnellste frau des 19. jahrhunderts“ und „zehn tage im irrenhaus“ – sind im berliner aviva-verlag erschienen.

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