Lothar Kreyssig *30.10.1898 – der einzige deutsche Richter im „Dritten Reich“, der gegen die Ermordung Behinderter und die Aktion T4 protestierte und sich sogar traute, Strafanzeige wegen Mordes gegen den zuständigen Reichsleiter zu stellen.
lothar kreyssig, kaufmannssohn aus flöha in sachsen, war zunächst als anwalt und richter am landgericht in chemnitz. vor der machtübergabe hatte er noch nsdap gewählt, weigerte sich jedoch 1933, in die partei einzutreten mit verweis auf seine richterliche unabhängigkeit. dafür trat er 1934 der bekennenden kirche bei, wurde 1935 zum präses der synode der bekennenden kirche in sachsen und einer ihrer führenden figuren. wegen seines engagements dort geriet er in konflikt mit der staatsmacht und wurde 1937 nach brandenburg an der havel versetzt. er war dort vormundschaftsrichter und erfuhr oder ahnte in dieser funktion 1940 von den plänen zur systematischen ermordung von patienten aus heil- und pflegeanstalten – als sich nämlich nachrichten über den tod seiner behinderten mündel zu häufen begannen. am 8. juli 1940 meldete er seinen verdacht, dass kranke massenhaft ermordet würden, aber auch, dass gefangene in konzentrationslagern entrechtet würden, an den reichsjustizminister und prostestierte dagegen, dass diese gruppen „nun vollkommen vom recht ausgenommen“ würden. daraufhin wurde ihm bedeutet, dass die „euthanasie“-aktion von hitler selbst veranlasst worden sei und in verantwortung der kanzlei des führers liege. woraufhin der couragierte richter anzeige wegen mordes gegen den reichsleiter philipp bouhler erstattete und den anstaltsleitungen seines amtsbereichs untersagte, patienten zu „verlegen“, d.h. auszuliefern.

er war der einzige im ganzen reich. am 13. november 1940 wurde kreyssig vom reichsjustizminister vorgeladen, der ihm hitlers schreiben und damit die „rechtsgrundlage“ zeigte. lothar kreyssig antwortete: „ein führerwort schafft kein recht.“
er wurde zwangsbeurlaubt und dann in den vorzeitigen ruhestand versetzt; zuvor hatte die gestapo mehrfach erfolglos versucht, ihn in ein kz einweisen zu lassen. kreyssig hatte schon früher einen hof in der nähe brandenburgs gekauft und betrieb dort nun ökologische landwirtschaft. 1943 organisierte der ex-richter ein versteck für die jüdin gertrude prochownik, die er, als sie dort nicht mehr bleiben konnte, bis zum kriegsende in seinem eigenen haus versteckte.
nach dem ende des krieges verlor kreyssig als vermeintlicher junker seinen gutshof, und wollte wegen der fragwürdigen rechtsstaatlichkeit in der sbz auch nicht mehr für die justiz arbeiten. er wurde mitglied im rat der evangelischen kirche in deutschland, trat für eine ökumene und gegen die wiederbewaffnung ein, regte die gründung der telefonseelsorge an und war initiator und mitgründer der „aktion sühnezeichen“. lothar kreyssig starb 1986. ehre seinem andenken.

