Deutsch, jüdisch, moslemisch, schwul

hugo (hamid) marcus (1880–1966) war – als deutscher jude geboren und schwul – eine schillernde figur und der einflussreichste muslim der zwischenkriegszeit in deutschland

der sohn eines posener holzgroßhändlers ging 1903 nach berlin, um im sinne seines vaters wirtschaftswesen zu studieren, wechselte aber schnell zur philosophie, gewann georg simmel als mentor für sich, promovierte und meldete sich als freiwillige sanitäter in den ersten weltkrieg ab. 

während des studiums hatte er den damals schon berühmten sexualaufklärer magnus hirschfeld kennen. und begann sich ebenfalls für die entkriminalisierung homosexueller und gegen § 175 einzusetzen, an der zeitschrift „sexus“ mitzuarbeiten, nach seinen kriegserlebnissen aber auch in hillers pazifistischer zeitschrift „das ziel“ zu publizieren. er gehörte zum kreis um stefan george, hielt sich persönlich als homosexueller aber sehr bedeckt.

ein anderer mann, den er im studium kennen- gelernt hatte, war maulana sadr-ud-din, der im auftrag der ahmadiyya-bewegung in deutschland war und die erste muslimische gemeinde in berlin gegründet hatte. durch seinen muslimischen freund begann er sich für den koran zu interessieren. sie begannen zusammen mit der ersten deutschen übersetzung des korans und 1925 konvertierte marcus zum islam und nannte sich nun hamid. mitglied der berliner jüdischen gemeinde und des kreises um hirschfeld blieb er dennoch. 

sadr-ud-din setzte ihn als geschäftsführer der moschee in berlin-wilmersdorf ein, damals die erste und einzige moschee in deutschland. und 1930 wurde marcus auch noch vorsitzender der von dem syrischen studenten mohammed nafi tschelebi gegründeten „deutschen muslimischen gesellschaft“ und chefredakteur der „moslemischen revue“.

der verein wie das magazin sahen sich einer kosmopolitischen und toleranten weltsicht verpflichtet. eine latifa roessler konnte da zb. einen artikel über „die ungesunde verschleierung“ und andere frauen unterdrückende sitten schreiben, die sich erst lange nach dem tod mohammeds durchgesetzt hätten.

offensichtlich war seine vielseitige identität – deutscher, jude, moslem, schwuler – kein widerspruch für marcus. er verehrte goethe und seine orientbewunderung und interpretierten den islam wie lessing als universalistische toleranzreligion, als „unbefangen“ und seine gesetze nicht als pflichtregeln, die die persönliche freiheit einschränken würden, sondern als richtungen und weisungen. in weit beachteten artikeln und vorträgen (u.a. waren hermann hesse und thomas unter den zuhörern) warb er für den koran/islam als bereicherung für die europäische kultur und bemühte sich darum, die abendländische philosophie, vor allem spinoza, kant und nietzsche mit ihnen zu verknüpfen. 

nach der pogromnacht 1938 wurde hugo-hamid marcus, als jude „hugo israel“ in sachsenhausen inhaftiert, in eine baracke mit jüdischen schwulen gesteckt und misshandelt, aber nach kurzer zeit dank prominenter fans seiner vorträge wieder entlassen – mit der auflage, das land zu verlassen. da er unbedingt noch weiter an seiner koran-übersetzung arbeiten wollte, nutzte er das visum, dass ihm sheik mohammed abdullah, der imam der wilmersdorfer moschee verschafft hatte, erst eine woche vor dem deutschen überfall auf polen und floh mit seiner mutter in die schweiz. anders als seine brüder. einer war schon 1919 gestorben, der zweite beging nach der machtübergabe an die nazis 1933 selbstmord, der dritte starb 1944 in theresienstadt.

nach dem kriegsende schrieb der von den nazis ausgebürgerte marcus, der erst 1959 eine rente von der bundesrepublik bekam, als freiberufler mit kargstem einkommen unter dem pseudonym hans alenius noch viele jahre für das internationale homosexuellenmagazin „der kreis“ und befasste sich bis zu seinem tod 1966 vor allem weiter mit nietzsche und kant. marcus war bis zwei jahre vor seinem tod staatenlos, erst 1964 haben ihm die schweizer behörden einen „pass für ausländer“ gegönnt – als „hugo israel marcus“.

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