Chaim Kiewe (1912-1983) war einer der ersten abstrakten Maler Israels
Chaim (ursprünglich Egon) Kiewe wurde im ostpreußischen Dlottowen (Dłutowo) geboren. Seine Eltern, Luis Lewin Kiewe aus Janowitz und Johanna Toller (verwandt mit dem Schriftsteller Ernst Toller) aus Kletzko, die einzige jüdische Familie im Dorf, besaßen einen Gasthof und züchteten Pferde. Nach dem Ersten Weltkrieg, Anfang der 1920er Jahren ließ die Familie sich in Berlin nieder. Egon Kiewe ging hier zur Schule und schloss sich der zionistischen Jugendbewegung HaHalutz an. Er war auf Haschara auf dem Gut Neuendorf bei Berlin und im thüringischen Obergeißendorf. 1934 emigrierte er mit der Kinder- und Jugendorganisation Alijat Noar nach Palästina. Aufgenommen wurde er im Kibbuz Na‘an in der Nähe von Rehovot, dessen Mitglieder eine Schlüsselrolle in der Hagana spielten. Seine Eltern, die bis zum Krieg in Hermsdorf bei Berlin und dann in einem jüdischen Altersheim in Breslau lebten, waren mittellos und bekamen vom Englischen Generalkonsulat, an das sie sich mehrfach mit Bittbriefen wandten, kein Zertifikat für Palästina. Sie wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert und ermordet.Chaim Kiewe wollte Malerei studieren, der Kibbuz schickte ihn jedoch zunächst zum Arbeiten in den Hafen von Tel Aviv.
Malen lernte er als Autodidakt in seiner Freizeit. Seine ersten Arbeiten sind Porträts von Hafenarbeitern und Kibbuznikim und Landschaftsbilder. »Nebenbei« war Chaim Kiewe in den 1940er Jahren Mitglied der Hagana und wurde 1947 bei der »Operation Agatha« (dem sogenannten »Black Sabbath«) von den Briten verhaftet – überliefert sind seine Kohlezeichnungen aus dem Gefängnis in Rafah. Nach seiner Entlassung war Kiewe während des Unabhängigkeitskrieges Kompaniechef in der Givati-Brigade, bevor er sich wieder der Malerei, in dieser Zeit vor allem Gouachen, widmete, aber auch Bühnenbilder und Kostüme für das Theater entwarf. 1950 fand seine erste Ausstellung als eigenständiger Künstler in der Katz Gallery in Tel Aviv statt. 1951 folgte eine erste von vielen langen Studienauftenthalten in Paris an der Grande Chaumière Akademie, verbunden mit Ausstellungen in der »La Galerie« in der Rue de Seine. Er malte noch immer figurativ, sehr farbig, mit viel Blau und Gelb, »with a sense of mystery and mysticism«, wie ein Kunstkritiker schrieb.
Das änderte sich jedoch bald unter dem Einfluss von Inspirationsquellen wie Picasso, Braque und Bissière. Nach seiner Rückkehr nach Israel wurde Kiewe Mitglied der Künstlergruppe Ofakim Hadaschim (»Neue Horizonte«), mit der er seine Bilder ausstellte. 1953 gründete er gemeinsam mit den Malern Joseph Zaritsky und Avigdor Steimatzky das Gemäldeseminar der Kibbuzbewegung – sie gaben Kurse in Zeichnen und Malen im Kibbuz Na’an. Gazit, das führende israelische Kunstmagazin dieser Jahre schreibt: »Mehr als alle Mitglieder der »Neue Horizonte« ist Kiewe gesegnet mit einer organischen Affinität zur realen Architektur. Doch zur gleichen Zeit enthält seine Malerei eine erhebliches lyrisches Element und ein hohes Maß an Musikalität…« – und Farbgefühl, möchte man hinzufügen.
Der Maler, dessen Markenzeichen Modernität und Verspieltheit zugleich waren, stellte im Pariser Salon d‘Art Moderne aus, in Antwerpen, Stuttgart, Straßburg, Brüssel, New York, Luxemburg und natürlich im Tel Aviv Museum und im Israel Museum in Jerusalem. In dem Jahr, als er den ersten Preis beim Internationalen Festival von Cagnes-sur-Mer für Israel gewann, hatte er immerhin auch Victor Vasarely und David Hockney, die Frankreich und England vertraten, hinter sich gelassen.
Kiewe als einer der ersten abstrakten Maler in Israel hat viele Künstler beeinflusst. Nachdem er mit seiner Familie den Kibbuz verlassen und sich auf Dauer in Bat Yam niedergelassen hatte, wurde er zu einem hochgeschätzten Lehrer an der berühmten Kunsthochschule Bezalel in Jerusalem und am Kunstinstitut Avni in Tel Aviv (unter anderem waren Nava Revital, Shalom Flash und Danielle Sheinman seine Schüler), zweitweise war er auch Direktor des Bat Yam Museums. Der Maler, der in der Philosphie Kant, Schopenhauer und Watzlawick verehrte und in der Malerei Rembrandt und Zaritsky, starb 1983 in Bat Yam. Er hinterließ seine heute 90-jährige Frau Tirza, zwei Söhne sowie seine Tochter Mona und ein Werk, das nicht in Vergessenheit geraten sollte!
1. Abbildung: »Grüße von meinen Eltern aus dem KZ«, 1972. Die Karte, auf die sich diese Collage bezieht, hatten die Eltern Chaim Kiewes aus Anlass der Geburt ihres ersten Enkelkindes – 1942 wurde Mona Kiewe geboren – aus Theresienstadt nach Palästina geschrieben.



