Der Schinderhannes

Am 20. November 1803 wird Johannes Bückler, genannt Schinderhannes, zusammen mit 19 Kumpanen zum Tode verurteilt (die Särge waren allerdings schon vier Tage vor der Urteilsverkündung bestellt) und am nächsten Mittag Punkt 12 in Mainz vor über 30000 Schaulustigen geköpft.
Johannes Bückler, im Herbst 1797 im Tausnus geboren, stammt aus einer Scharfrichter- und Abdeckerfamilie und hat seinen Spitznamen vermutlich da her. Mit 14 Jahren beginnt er zu klauen: Geld, Kalbsfelle, Kuhhäute und tut sich bald mit zwei anderen Knechten zusammen, mit denen er nachts Schafe stiehlt und sie am Tage verkauft. Mit 18 schließt er sich der berüchtigten Hunsrückbande an. Mit 19 bringt er zum ersten mal einen um: zusammen mit dem „Schwarzen Peter“ sticht er den jüdischen Viehhändler Simon Seligman aus Seibersbach nieder und plündert den Leichnam; im Prozess schiebt er die Tat auf seinen Kumpel. Als nächstes ist die Konkurrenz bei den Damen fällig: zwei seiner Nebenbuhler müssen sterben.
Aber sein Hauptgeschäft sind clevere Raubzüge aller Art. Zum Beispiel steigt er bei einem Gerbermeister in Meisenheim ein, stiehlt einen Teil seiner Ledervorräte und verkauft sie ihm tags darauf wieder. Totz solcher dreisten Coups wird er schon früh auch mehrfach erwischt und verurteilt, kann aber immer wieder fliehen.
Mit 20 wird Hannes in Simmern, im sichersten Gefängnis seiner Zeit festgesetzt, in einem sechs Meter tiefen Verließ und nachts in Ketten. Aber das Stammheim des 18. Jahrhunderts ist nicht sicher genug für einen Schinderhannes. Nach einem halben Jahr hat er es wieder geschafft zu entkommen, wenn auch mit gebrochenem Unterschenkel. Nun ist er richtig berühmt und sein Ruf eilt ihm voraus, wo immer er hinkommt.
Es ist eine unruhige Zeit, in Frankreich Revolution, weite Landstriche verwüstet, die öffentliche Ordnung vielerorts zusammengebrochen, und in den Grenzregionen treiben Räuberbanden ihr Unwesen. Und auch Hannes wird immer dreister, weitet sein operationsgebiet bis zur Saar aus, stielt mit seinen wechselnden Miträubern schwadronweise Pferde, plündert Dörfer, und verlegt sich, als das nicht mehr lukrativ genug ist, auf Schutzgelderpressung und Straßenraub. Hannes überfällt vornehmlich jüdische Kaufleute. Zum einen gibt es bei denen am meisten zu holen und der Handel in der Region wird vornehmlich von Juden betrieben, zum anderen kann er sich er so der Nachsicht oder gar Sympathie eines Teils der judenfeindlichen armen Landbevölkerung sicher sein (die sich von der formalen Gleichstellung der Juden im Zuge der französischen Revolution und vom Reichtum einiger weniger brüskiert fühlen).
Überliefert ist u.a. der Überfall auf mehrere jüdische Händler, die vom Kreuznacher Markt kamen und dass auf seinen Befehl hin ein nichtjüdischer Händler unbehelligt blieb, was ihm den Beifall der 20 Bauern eingebracht habe, die der Aktion bei der Feldarbeit zugesehen hatten.
Er überfällt die Kutsche der Brüder Reinach, die zu einer der reichsten jüdischen Mainzer Kaufmannsfamilien gehören und erbeutet 560 Gulden plus Wertsachen. Er stürmt mit seinen Leuten das Haus des jüdischen Stoffhändlers Wolff Wiener in Hottenbach und erbeutet 4500 Gulden; trotz des Lärms kommt niemand zu Hilfe und als Wiener die Kirchenglocke läuten will, wird er daran gehindert, da die Glocken für Christenmenschen gemacht seien.
Zuletzt erschießt Hannes bei einem Überfall den Händler Mendel Löw in Sötern. Insgesamt hat er 120 Juden aus 58 Ortschaften ausgeraubt (obwohl Juden zu der Zeit gerade mal 2% der Bevölkerung stellten), oft nach Tipps von christlichen Nachbarn oder Konkurrenten, so in Illingen, Staudernheim, Hundsbach, Merxheim und Ulmet.
Mit der Reformierung des französischen Polizeisystems wird die Strafverfolgung jedoch allmählich effizienter und auch die Bevölkerung mobilisiert gegen den Blutsauger. Im Mai 1802 erwischt es endlich auch ihn, der mal als Jacob Ofenloch, mal als Jakob Schweighard unterwegs ist.
Als sein Prozess beginnt, reißen sich die Leute um die Eintrittskarten. Allein das Verlesen der Anklageschrift zu den über 200 Delikten dauert anderthalb Tage. In der Hoffnung auf ein gnädiges Urteil verpfeift der 26jährige über 100 Kumpanen und gibt auch die Raubzüge alle zu, nicht aber die Morde. Am Ende sind 400 Zeugen vernommen, 20 Todesurteile und 67 Haftstrafen verhängt (die Gerichtsakten sind fast vollständig erhalten); Hannes’ Frau und Komplizin, Julchen Blasius kommt mit nur zwei Jahre Zuchthaus davon. Sie hatte zuvor in der Untersuchungshaft noch (s)einen Sohn zur Welt gebracht. dessen nachfahren leben bis heute im Taunus.
Obwohl der Schinderhannes zu Lebzeiten gehasst und gefürchtet war und es weit bedeutendere Räuber gab, wurde er nach seinem Tod schnell schwärmerisch mystifiziert. Das Geheimnis um ihn, die Frauen, der Aberglaube, die tollkühnen Hursarenstückchen, sein Charisma, seine (relative) Bildung und sein Talent, sich als „Robin Hood des Hunsrück“ und Wohltäter der Armen zu verkaufen, waren der ideale Nährboden für romantische Legenden und für Literaten von Schiller bis Zuckmayer, die ihn zum edlen Sozialbanditen verklärt haben. Was heute den Namen Schinderhannes trägt, ist allerdings etwas profaner: ein ausgestorbener Fisch, ein Schnitzel, Brot, Biere, Hotels, Wanderwege, Fetischklamotten und Pornofilme.


 
Johannes Bückler, Gemälde von Karl Matthias Ernst 1803
Zeitgenössischer Holzschnitt von der Hinrichtung Bücklers in Mainz



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