stefan samuel* zweig *28. november 1881
aus einem interview im pariser l’intransigeant vom 12.12.1933:
[…] Es ist bekannt, dass die neue Regierung des Reichs die Bücher Stefan Zweigs aus den Bibliotheken entfernen und eine nicht geringe Anzahl von ihnen öffentlich verbrennen hat lassen. […]
„Es war ein sehr harter Schlag für uns. Wenn man in einem Land hunderttausende – ich kann sogar sagen Millionen – Leser hatte, ist es schmerzhaft, wenn man plötzlich um diesen lebendigen Kontakt gebracht wird. Und ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich unter den in Deutschland gegen mich gesetzten Maßnahmen fürchterlich gelitten habe. Warum sollte man sich auch schämen? […] Wir, die wir Jahrzehnte im Geiste in der deutschen Literatur, mit den deutschen Lesern gelebt haben, sollten keine Angst haben zu bekennen, dass uns dieser plötzliche Bruch zutiefst getroffen hat.
[…] Hitlers Regierung versucht zurzeit, die Literatur zum Sprachrohr ihrer Anschauungen zu machen. Ich fürchte, in Zukunft wird es in Deutschland nur mehr eine Staatsliteratur und eine der Opposition geben. Ein Beispiel dafür sind die Bolschewiken in Russland: Jede Art von Literatur, die nicht ihren Ideen diente, wurde verhindert, man tolerierte nicht einmal eine neutrale, unpolitische Literatur. Es war für mich immer schmerzlich zu sehen, wie die russische Literatur streng nach den politischen Etiketten eingeteilt wird: „rot“ und „weiß“. Und um nichts in der Welt würde ich wollen, dass man auch in Deutschland ein Buch letztendlich nicht mehr nach seinem künstlerischen oder menschlichen Wert beurteilt, sondern ausschließlich nach seiner politischen Tendenz.
[…] Eine Regierung, die uneingeschränkte Autorität hat, der es gelungen ist, die gesamte Opposition auszulöschen, ist ausgesprochen mächtig. […] Es ist also, genauso wie in Russland, leicht möglich, Bücher, die nicht erwünscht sind, zu verhindern, sei es aufgrund der politischen Anschauung, der Rasse oder aus anderen Gründen. […] Aber es ist besser, verboten zu werden, als sich die Publikationserlaubnis mit moralischen Zugeständnissen zu erkaufen. […] Aber diese moralische Unabhängigkeit werde ich gegenüber jeder Regierungsmacht der Welt behalten und ich bin bereit, ihr alles zu opfern. […] Es gibt zwei Dinge, die keine Regierung jemals vermag und noch nie vermochte: Zunächst einmal kann sie zwar Bücher verbieten, aber niemals die Ideen auslöschen, die sie transportieren. Die Zensur hat das Erscheinen vieler Bücher verhindert, aber sie sind trotzdem geschrieben worden und sie haben die Zensur überlebt. Das war der Fall bei Spinozas Abhandlungen und bei tausend anderen bedeutenden Werken.
Zum anderen konnte eine Regierung niemals Künstler oder Kunstwerke auf Wunsch hervorbringen. Man hatte in Deutschland offiziell gesagt, die echte Literatur sei durch eine dekadente, internationale und jüdische Literatur erstickt worden und die wahren deutschen Dichter könnten den Platz, der ihnen auf dem Theater oder in der Literatur zustehe, nicht einnehmen, für sie sei kein Platz mehr. Jetzt sind acht Monate vergangen, die „Asphaltliteratur“ ist verboten oder verjagt worden, der Platz ist frei für die anderen, die wahren Dichter, aber bis jetzt ist noch kein wirklich bedeutendes Werk erschienen. […]
[Die Kunst] muss unabhängig sein, in jedem Fall. Natürlich gibt es Menschen, deren Talent in der Gewalt liegt, in der Aggression, im Fanatismus und in der Polemik: Die profitieren unglaublich von einer solchen Spannung, denn sie können sich im Kampf und im Waffengetöse am besten verwirklichen. Aber es gibt andere, die nur zurückgezogen schöpferisch tätig sein können, in der Stille. In der Kunst gibt es kein Gesetz, und genau deshalb erschien es mir so gefährlich, die Kunst unterwerfen zu wollen und aus ihr Propagandainstrument nach russischem Vorbild zu machen. Für die deutsche Literatur fürchte ich nichts so sehr wie diese Aufspaltung, denn sie würde auch unzählige Freundschaften zerstören, zwischen Menschen, zwischen Künstlern, und sie würde einen Graben des Hasses aufreißen zwischen jenen, die Seite an Seite arbeiten sollten. […]“
_____
Es ist vielleicht das einzige Stück Freiheit, das man sein ganzes Leben ununterbrochen besitzt: Die Freiheit, das Leben wegzuwerfen.
abbildungen: zweig, new york 1939 c/o eric schaal; sterbeurkunde mit eintrag des suizids am 23.2.1942
*samuel ist als zweiter (jüdischer) vorname im geburten- und beschneidungsbuch der israelit. kultusgemeinde wien verzeichnet, zweig hat ihn aber nie benutzt.


