Jura Soyfer


8.12.1912 charkow – 16.2.1939 kz buchenwald


• Das Lied von der Ordnung
Daß wir Hunger haben, ist nicht wichtig,
Nebensache, daß wir betteln gehn,
Unsere Klagen weist man ab als nichtig,
Hauptsache: Die Ordnung bleibt bestehn!
Wer‹s noch nicht gemerkt hat, mag‹s jetzt hören:
Eine Ordnung gibt‹s auf dieser Welt,
Sie ist da, damit wir sie nicht stören,
Und wir halten sie, weil sie uns hält!
Die Erde ist von Ost bis West,
Von Singapur bis Budapest,
Glänzend organisiert!
Dreißig Millionen gehen stumm
In Reih und Glied vor Hunger krumm,
Wer nicht mehr gehen kann, fällt um,
Das klappt, als wär‹s geschmiert!
Gibt‹s zu viel Brot? Dann heizt mit Brot!
Gibt‹s zu viel Menschen? Schießt sie tot!
Die Ordnung schuf der liebe Gott,
Wir frieren, krepieren in Tritt und Trott,
Die Ordnung funktioniert!
Ach, man merkt von ihr oft Jahr für Jahr nichts,
Manchmal glauben wir schon, sie wär hin,
Ihr habt alles, und wir haben gar nichts:
Ist das die Ordnung oder hat das Sinn?
Aber schreien wir das in die Straßen
Von Neuyork, von London, von Schanghai,
Wollt ihr uns nicht länger zweifeln lassen,
Und es bleut uns ein die Polizei:
Die Erde ist von Ost bis West,
Von Singapur bis Budapest,
Glänzend organisiert!
Dreißig Millionen gehen stumm
In Reih und Glied vor Hunger krumm,
Wer nicht mehr gehen kann, fällt um,
Das klappt, als wär‹s geschmiert!
Gibt‹s zu viel Brot? Dann heizt mit Brot!
Gibt‹s zu viel Menschen? Schießt sie tot!
Die Ordnung schuf der liebe Gott,
Wir frieren, krepieren in Tritt und Trott,
Die Ordnung funktioniert!
Alles geht in schönster und in bester
Ordnung! Und wir müssen mit ihr mit –
Doch je mehr wir werden, desto fester
Dröhnt auf allen Straßen unser Tritt!
Gestern hielten wir noch fromm die Ordnung. –
Heute wankt sie. – Wird sie morgen stehn?
Und wir fragen: Muß es stets in Ordnung,
Muß es stets in dieser Ordnung gehn?
Wir fragen euch von Ost bis West,
Von Singapur bis Budapest,
Trotz Knüppel und Gewehr!
Wir, die wir hungern überall,
Weil Ordnung auf dem Erdenball,
Wir fragen euch, wie es einmal
Mit einer andern Ordnung wär?
Heut gehn wir mit der Ordnung mit,
Doch morgen fallen wir aus dem Schritt,
Wir fallen aus dem Hungertrott,
Trotz Fabrikant und liebem Gott.
Und morgen, und morgen,
Da wird in Front marschiert!



• Rassische Liebesballade
Es waren zwei Nazikinder,
Die hatten einander so lieb.  
Sie konnten zusammen nicht kommen,  
Denn sie war ein ostischer Typ.
Ihr Schädel nämlich war rundlich,  
Ihr Busen hingegen oval, 
(Statt umgekehrt) – rassenkundlich  
War dieses Weib ein Skandal.
Sein Haupthaar war siegfriedisch, 
Sein Auge preußischblau:  
Kein Partner für die negroidisch- 
Mongolisch gemixte Frau.
Und als er trotzdem dämlich  
Beim Rassenamt angesucht,  
Da hieß es: »Du bist unabkömmlich  
Als Bulle für arische Zucht.«
Sie weinten sehr selbander,  
Die Lage war äußerst trist.  
Da plötzlich – ha! – erfand er 
Eine echt nordische List.
Er ließ sich die Haare schwärzen  
Und kräuseln, dann – husch – husch –  
Strich, wenn auch mit blutendem Herzen,  
Den Leib er sich mit Tusch.
Dann trat er zum Bürotisch  
Im Rassenamt und bat
Sehr höflich auf hottentottisch
Um ein Ehezertifikat.
Er frug: »Stört die Herrn meine Rasse?«
Da schrien sie höhnisch: »Nein! 
Ihr Glück, daß Sie keine blasse  
Und nordische Wunschmaid frein!«
So fanden die beiden sich eh’lich.  
Und weil er sich fleißig wusch,  
Verschwand mit den Jahren allmählich  
Von seinem Leibe der Tusch …
Nun frage ich euch auf Ehre,  
Ob das, was jener getan
So kühn, gelungen wäre
Einem mischrassigen Mann? 

Nein! – Also: Die Rassenlehre
Ist doch kein leerer Wahn!


• Lied des einfachen Menschen
Menschen sind wir einst vielleicht gewesen
Oder werden‹s eines Tages sein,
Wenn wir gründlich von all dem genesen,
Aber sind wir heute Menschen? Nein!
Wir sind der Name auf dem Reisepaß,
Wir sind das stumme Bild im Spiegelglas,
Wir sind das Echo eines Phrasenschwalls
Und Widerhall des toten Widerhalls.
Längst ist alle Menschlichkeit zertreten,
Wahren wir doch nicht den leeren Schein!
Wir in unser‹n tief entmenschten Städten
Sollen uns noch Menschen nennen? Nein!
Wir sind der Straßenstaub der großen Stadt,
Wir sind die Nummer im Katasterblatt,
Wir sind die Schlange vor dem Stempelamt
Und uns‹re eignen Schatten allesamt.
Soll der Mensch in uns sich einst befreien,
Gibt‹s dafür ein Mittel nur allein:
Stündlich fragen, ob wir Menschen seien,
Stündlich uns die Antwort geben: Nein!
Wir sind das schlecht entworf‹ne Skizzenbild
Des Menschen, den es erst zu zeichnen gilt.
Ein armer Vorklang nur zum großen Lied.
Ihr nennt uns Menschen? Wartet noch damit!

• Reformiertes deutsches Kirchenlied
Wir stehen in Dachau beim Prügeln, habt acht,  
Wir kleben in Tegel Tüte um Tüte …  
Bis hierher hat uns Gott gebracht  
In seiner großen Güte.  
Halleluja!
Wir trotten in Feldgrau, 
Schub um Schub  
Zum Arbeitsdienst, 
Werke des Friedens zu schaffen …  
Ein‘ feste Burg ist unser Krupp,  
Ein‘ gute Wehr und Waffen.  
Halleluja!
Wir sprachen am Wahltag mit frohem Gesicht, 
 (Denn unsere Häscher standen daneben):  
Hitler meine Zuversicht  
Und mein Heiland ist im Leben.  
Halleluja!
Wir stehen habt acht, wir gehen in Reihn
Am Henker vorüber, verzerrten Gesichtes, 
Zum Letzten entwürdigt, in Schmach und in Pein,  
Die Letzten werden die Ersten sein,  
Am Tage des Gerichtes.  
Amen.

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