ödön von horváth *9.12.1901
sie werden schon sehen, daß jede epoche die epidemie hat, die sie verdient. jeder zeit ihre pest.
denken tut weh.
eigentlich bin ich ganz anders, nur komm‘ ich so selten dazu.
man wirft mir vor, ich sei zu derb, ekelhaft, zu unheimlich, zu zynisch und was es dergleichen noch an soliden, gediegenen eigenschaften gibt – und man übersieht dabei, dass ich doch kein anderes bestreben habe, als die welt zu schildern, wie sie halt leider ist.
nichts gibt so sehr das gefühl der unendlichkeit, wie die dummheit.
und die leute werden sagen
in fernen blauen tagen
wird es einmal recht
was falsch ist und was echt.
was falsch ist, wird verkommen
obwohl es heute regiert,
was echt ist, das soll kommen,
obwohl es heute krepiert. *
* weil seine stücke in nazideutschland nicht mehr aufgeführt werden durften, ging horváth nach dem „anschluss“ österreichs ende mai 1938 nach paris. am 1. juni traf er sich mit robert siodmak und seiner frau im café marignan, um über die verfilmung seines romans „jugend ohne gott“ zu sprechen. als die drei aufbrachen, kam ein gewitter auf. siodmak bot an, den autor in seinem wagen mitzunehmen. der abergläubische horváth, dem ein wahrsager zudem prophezeit hatte, dass ihm in den ersten tagen des juni „das bedeutendste ereignis seines lebens“ bevorstünde, lehnte ab, er befand autofahren als zu gefährlich und ging zu fuß. als es stärker zu regnen begann, suchte er auf der champs-élysées gegenüber dem théâtre marigny schutz unter einer alten kastanie, die kurz darauf von einem blitz getroffen wurde. ein darauf hin herabstürzender ast erschlug den 36jährigen. dieses gedicht steckte neben ein paar erotischen frauenbildern in seiner jackentasche.


Ein Kommentar zu „Und die Leute werden sagen…“