370 000 Einwohner und halb so groß wie Westberlin: das ist Malta. Zwischen Sizilien und Tunesien im Schnittpunkt alter Handelsrouten liegend, sind hier alle schon mal vorbeigekommen: Punier, Römer, Normannen, Araber … und Juden. Die ersten kamen bereits vor 3500 Jahren – als Händler, im Schlepptau phönizischer Siedler. Sie hinterließen Inschriften und Menora-Darstellungen in den Katakomben von Birzebugga, Valetfa und Rabat.
In einer dieser Höhlen soll dann auch ein „talmid chacham“ und Sohn streng gläubiger Juden namens Saulus einige Monate gehaust haben – der spätere Apostel Paulus, der Anno 59 mit seinem Schiff vor Malta gekentert sein soll. Im 13. Jahrhundert lebte eine andere Berühmtheit hier, der aus Saragossa stammende Kabbalist und Mystiker Abraham Abulafia. Seine Vision – er wollte die Differenzen zwischen Judentum, Islam und Christentum beseitigen – war auf Malta in mancher Hinsicht bereits Jahrhunderte lang gelebte Praxis. Schon unter den Arabern konnten Juden hier Staatsbeamte werden (einer brachte es sogar bis zum Großwesir), unter den Spaniern waren sie dann anerkannte Kauf- und Fachleute wie Abraham Safaradi, der 1485 als bester Mediziner und Jurist Maltas erwähnt wird.
Die jüdische Gemeinde prosperierte und hatte Privilegien. Jüdische Strafgefangene bekamen am Schabbat Ausgang für den Gottesdienst. Ortsbezeichnungen wie „Wied Sansun“ (Salomon-Wadi) oder „Ghajn Lhudi“ (Qudenhöhle) bürgerten sich ein, und in der damaligen Hauptstadt Mdina war sogar ein Drittel der Bevölkerung jüdisch. Dann jedoch fiel Malta an das Königshaus von Aragon, und die Juden ereilte das Schicksal ihrer Brüder auf dem spanischen Festland: 1496 mußten sie Malta verlassen oder aber konvertieren (Ellul oder Azzopardi – von „Sephardi“ – sind Familiennamen, die noch heute die jüdischen Wurzeln vieler katholischen Malteser bezeugen). Es gab zwar bald wieder Juden auf Malta, sie waren jedoch Sklaven – Gefangene des Johanniterordens, dem Karl V. die Inselgruppe 1530 überlassen hatte. Die christlichen Ritter kaperten Schiffe, und ihre Opfer waren eben oft Juden, die auf den Meeresrouten Handel trieben. Der englische Reisende Philipp Skippon beschrieb 1663, daß sie auf dem Markt verkauft und »durch ein Stück gelben Stoff am Hut« von den anderen Sklaven abgesondert wurden. Auch der älteste noch· erhaltene jüdische Friedhof in Kalkara war 1784 ursprünglich noch für diese Sklaven angelegt worden. Zu sehen sind hier jedoch (Schlüssel beim Nachbarn) vor allem Gräber späterer, freiwilliger Einwanderer. Denn 1798 hatte Napoleon auf dem Weg nach Ägypten Malta besetzt und mit den Rechten der Französischen Republik auch das Ende der Sklaverei verkündet. Zwei Jahre später kamen die Engländer. Die Gleichberechtigung der Juden blieb bestehen.
Die Einwanderungswelle, die nun einsetzte, brachte auch die Vorfahren George Tayars aus Libyen nach Malta. Der 1995 verstorbene, langjährige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde »ist der einzige Jude«, so seine Witwe Shelly, »nach dem eine Straße benannt wurde«. Für die kleine jüdische Gemeinde Maltas, der kaum mehr als fünfzig Familien angehören, sind solche Zeichen wichtig. So fand sie zum ersten Mal offizielle Anerkennung als Minderheit, als die Mitglieder letztes Jahr in der Stadt Fgura zu Tu Bischwat Bäume pflanzten und die Stadtverwaltung daraufhin beschloß, das Wäldchen den „Jüdischen-Gemeinde-Hain“ zu nennen. Darauf ist man stolz hier, und darauf, daß es keinen Antisemitismus gibt und keine gegenseitigen Berührungsängste. Wir suchen unsere Freunde nach den Interessen aus, nicht nach der Religion«, sagt die aus Jerusalem kommende Shelly, »dazu sind wir auch viel zu wenige«. Beispielsweise sei der einzige auf Malta lebende Rabbiner, Herbert Richard, »ein pensionierter Liberaler und meist auf Reisen«. Aber man ist optimistisch. Denn die Familie des jetzigen Gemeiridevorsitzenden Abraham Ohayon, eines in Portugal geborenen Unternehmers, ist orthodox und außerordentlich fruchtbar. »Einer von denen hat es sogar zu Vierlingen gebracht«, verrät Gemeindesekretär Stanley Davis, ein pensionierter britischer business man, der auch schon 30 Jahre in Malta lebt. »Unsere Zukunft ist also gerettet«. Dennoch ist es nicht ganz einfach mit dem jüdischen Leben. Koschere Produkte müssen eingeflogen werden, zu Pessach geht eine Mazze-Sammelbestellung nach London; Kultur gibt’s nur, wenn sich mal wieder jemand wie Arnos Oz auf die Insel verirrt; und um jüdisch zu heiraten muß man nach Israel oder Gibraltar. Aber Hindernisse wie diese werden mit englischem Humor und südlicher Gelassenheit genommen. Schließlich ist ihnen auch schon zweimal die Synagoge wegen Baufälligkeit abgerissen worden. Und nun haben sie doch wieder eine, und die ist schöner als je zuvor. Vier Jahre lang mußte man sich zum Gottesdienst reihum bei den Mitgliedern zu hause treffen, die Feiertage im Hotel feiern und Geld sammeln, um die Wohnung kaufen zu können, die im Januar dann endlich als Synagoge eingeweiht wurde.
Da man aber nicht jede Woche einen Minjan zusammenbekommen würde, gibt es nur am jeweils ersten Schabbat im Monat einen Gottesdienst. Aber dann ist die Synagoge auch wirklich voll. Ruven Ohayon und seine Frau Jocheved organisieren hier alles. Ruven unterrichtet nicht nur Hebräisch und Religion, er ist auch der Vorbeter. Stanley Davis verteilt die Alijot und Dennis Miller – ehemals Schottland – die Siddurim. Hier beten französische Geschäftsleute, englische Ladys, ein vereinzelter messinanischer Jude und natürlich die vielen Kinder des OhayonClans. Die Mädchen sitzen neben ihren Müttern, die Söhne auf dem Schoß ihrer Väter und Brüder. Wenn der Chasan dann mit den Torarollen um die Bima geht, laufen die Kleinsten stolzgeschwellt und jeder mit Miniatur-Torarollen bewaffnet im Gänsemarsch hinterher.
Die Atmosphäre ist familiär locker, der Ritus eigentlich sephardisch. Aber bei Bedarf wird er auch ein bißchen angepaßt. »Schließlich haben wir hier alles: Aschkenasim, Orthodoxe, Reformer, Liberale«, sagt Abraham Ohayon. Die mediterrane Einheitsgemeinde also? – »Auf alle Fälle friedliche Koexistenz«, meint Stan. Das kann auch Joel Levy von der Lauder Foundation in Berlin bestätigen. Als er in den 80ern stellvertretender US-Botschafter in Malta war, kannte man dort keine Bat Mizwa, feierte dann aber bereite willig eine für Levis Tochter Renanit. Es ist die einzige geblieben, die Malta je gesehen hat, aber beide Seiten erinnern sich noch heute gern daran. »Wir tolerieren einfach unsere gegenseitigen Unterschiede«, kommentiert Stanley gentlemanlike. Dazu gehört eben, daß sich trotz der meist sephardischen Mitglieder aschkenasische Elemente in den Gottesdienst eingeschlichen haben und britische in den Kiddusch: am Schluß gibt es nämlich nicht nur maltesischen Thunfisch und Oliven sondern auch einen ordentlichen Whiskey. Le’chaim!
P.S. Einige der Protagonisten gibt es inzwischen nicht mehr, dafür aber Chabad Lubawitsch:-)

