
Rudolf Kalvach war ein genialer, phantasievoller, origineller Grafiker, dem wegen einer chronischen Nervenerkrankung nur wenige Jahre für sein Schaffen blieben
Heute vor 140 Jahren, am 22. Dezember 1883, in Wien geboren, besuchte Rudolf Kalvach unter anderem die Kunstgewerbeschule und hatte dort Lehrer, die zum Kern der Wiener Secession gehörten. Nachdem sein Vater als Lokomotivführer bei der „Südbahn-Gesellschaft“ 1901 nach Triest versetzt wurde und die gesamte Familie dorthin übersiedelte, begann Rudolf zwischen Wien und Triest hin- und herzupendeln. Zwei mal die Woche fuhr er auf der Lok seines Vaters Peter als Gehilfe mit und kam dann immer Ruß verschmiert im Malsaal an, wie sein Lehrer Bertold Löffler sich später erinnerte.
Der begabte Student entwickelt schnell einen eigenen, markanten Stil und wurde spätestens 1906 über Wien hinaus bekannt, als ihn die von Koloman Moser und Josef Hoffmann gegründete Wiener Werkstätte engagierte, die der „seelenlosen“ Massenproduktion der Fabriken qualitativ hochwertiges Kunsthandwerk entgegen setzen wollte. Rudolf Kalvach war einer der ersten und jüngsten Nachwuchskünstler der Werkstätte, für die er in den folgenden Jahren Postkarten und Bilderbögen entwarf, die sich mit ihrem meist schwarzen Hintergrund und kräftigen Figurenfarben deutlich von den Arbeiten anderer Kollegen abhoben – aus den anfänglichen gängigen Motiven für Glückwunschkarten wurden bald satirische, surreale, groteske oder mythologische Fabelwesen und Szenen, wie die pummlige Leda mit dem Zeus-Schwan auf dem Kopf von 1908.

Gleichfalls noch 1908 heiratete Kalvach in Triest seine Freundin Marie Klarer, die wenige Tage später die gemeinsame Tochter Olga gebar. Marie brachte in den nächsten zwölf Jahren weitere fünf Mädchen und einen Jungen zur Welt, der aber schon nach wenigen Monaten verstarb. Und da die Familie weiter in Triest leben blieb, hielt sich auch der Künstler oft dort auf. Kalvach mochte Triest, besonders den Hafen (ich auch) und verewigte ihn in einer Reihe von Holzschnitten, die zu seinen bekannteren Werken zählen.



Ganz anderer Art war Kalvachs Werbeplakat für die Wiener „Kunstschau 1908“, das zur einer Ikone der Wiener Moderne wurde. Diese Bild gewordene Absage an den Jugendstil seiner Lehrer ähnelte stark dem zum selben Anlass entworfenen Druck seines Studienkollegen Oskar Kokoschka, und die Kunsthistoriker streiten sich bis heute darüber, wer beim wem abgekupfert hat (links Kalvach, rechts Kokoschka) oder ob die Beiden ihre Arbeiten bewußt ähnlich angelegt hatten. Seit der ersten großen Kalvach-Retrospektive in Wien 2012 sind sich aber immer mehr Leute einig, dass hier Kalvach den drei Jahre jüngeren Kokoschka beeinflusst hatte.

Daneben illustrierte Rudolf Kalvach Bücher, gestaltete Inserate, Etiketten und Spielkarten, vervollkommnete sich in der Email-Malerei und entwarf Dekors für Schmuckstücke, Dosen und Kassetten. Die vielversprechende Karriere des außerordentlich begabten jungen Künstlers wurde jedoch bald durch eine psychische Krankheit beeinträchtigt. Als sich die Anzeichen seiner geistigen Verwirrung verstärkten, wurde Kalvach 1912, da war er 30 Jahre alt, zum ersten Mal in die Wiener psychiatrische Anstalt Am Steinhof eingeliefert. Dort diagnostizierte man eine schweren Schizophrenie und entließ den Patienten erst 1915 wieder. Kalvach versuchte weiter zu arbeiten, wurde 1917 sogar noch zum Kriegsdienst eingezogen (aber gleich wieder entlassen), kam jedoch zwischendurch immer wieder in die Klink, bis 1921 dann seine dauerhafte Einweisung erfolgte.



Nach fünf Jahren Aufenthalt in Steinhof wurde Rudolf Kalvach gegen seinen Willen in die psychiatrische Klinik in Kosmonosy bei Jungbunzlau in der Tschechoslowakei abgeschoben. Rechtliche Grundlage der Deportation war das so genannte Heimatrecht, das man in der Habsburger Monarchie und ihren Nachfolgestaaten bei der Geburt erhielt. Das heißt, dort, wo jemand ursprünglich gemeldet war, hatte er Anspruch auf ungestörten Aufenthalt und im Notfall auf Armenpflege, so dass er wegen einer Behinderung oder Armut auch aus einem anderen Ort oder Land dahin „zurückgeschoben“ werden durfte. Es sei denn, er hatte an seinem neuen Wohnort das Heimrecht beantragt und erhalten. Da sich das „Heimatrecht“ am Status des Vaters orientierte und Rudolfs Vater in Rychnov (Reichenau) in Böhmen geboren worden war und die Umregistrierung bis dahin nicht beantragt hatte, traf die Regelung nun seinen kranken Sohn.
Obgleich der Vater den Ort schon als Einjähriger mit seiner Eltern verlassen hatte und seitdem in Österreich lebte, obgleich Rudolf Kalvach wie seine Mutter Adelheid Kigl in Wien geboren worden war, nie zuvor in Böhmen gelebt hatte und kein Wort tschechisch sprach, galt er nun als tschechoslowakischer Staatsbürger und das Gericht in Wien entschied, dass sich seine „Heimgemeinde“ um ihn kümmern müsse. So kam Kalvach also 1926 in die Anstalt nach Kosmonosy, zusammen mit elf anderen geistig Behinderten aus Wien, die alle im Einzugsgebiet der Anstalt ihr Heimatrecht hatten und von denen niemand tatsächlich aus der Gegend stammte, waren es doch ihre Eltern oder Großeltern gewesen, die in der Hoffnung auf eine besseres Leben aus Böhmen oder Mähren nach Österreich gezogen waren.
Rudolf Kalvach starb, von der Kunstwelt bereits völlig vergessen, sechs Jahre später, am 14. März 1932, mit 49 Jahren in der Anstalt an Tuberkulose und wurde auf dem örtlichen Friedhof beerdigt. Sein Grab wurde eingeebnet.













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In dieser unruhigen und unschönen Zeit wünsche ich ein ruhiges und schönes Jahresende. Vielleicht kommt ja was Besseres nach…
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