Die wilde Viehhändlerstochter

Zofia Potocka. Rubrik: Früher war mehr Lametta.

Σοφία, die „schönste Frau Europas“, Gattin u.a. des reichsten polnischen Adligen und Geliebte zahlloser Promis ihrer Zeit, am 12. Januar 1760 geboren, war das einzige Kind des griechischen Viehhändlers Konstantinos und seiner Frau Maria aus Mudanya bei Bursa am Marmarameer. Laut Geschichtsschreibung ließ sie sich mit Elf von einem Cousin entjungfern. Die Familie zog wenig später nach Istanbul um, wo jedoch ihr Haus abbrannte und der Vater starb. Zofia, ihre Tante Helena und ihre Mutter verdienten ihren Unterhalt von da an mit Liebesdiensten.

Mit 17 floh Zofia aus dem Palast einer lesbischen Verwandten Sultan Abdülhamids I., die sie zu ihrer Konkubine machen wollte. Da der Portier der polnischen Mission in Istanbul zu den Kunden ihrer Mutter zählte, fand sie dort Zuflucht und wurde die Mätresse des Niederländers Boscamp, der Polen bei der Hohen Pforte vertrat. Sie begleitete den Diplomaten zu Empfängen, lernte Französisch, ritt in exotischen Pagen- oder Amazonenkleidern wilde Pferde zu, und soll eine versierte Liebhaberin und eine begnadete Masseurin gewesen sein (so dass Boscamp zeitweise daran dachte, sie dem polnischen König Stanislaw August Poniatowski als Bademagd zu überlassen).

Als er zurückberufen wurde, gab er Zofia in Pension und lud sie, nachdem seine Frau gestorben war, zu sich nach Warschau ein. Auf dem Weg dahin hatte sie allerdings in Rumänien eine Affäre mit dem Schwager des Fürsten von Moldau, woraufhin Boscamp sie zurückschicken wollte. Stattdessen fuhr Zofia in die polnische Grenzfestung Kamjanez-Podilskyj und ließ sich hier von Major Jósef de Witte den Hof machen. Sie heiratete ihn nach weiteren Verwicklungen mit Boscamp und war auf der Hochzeitsreise Gast des Königs. Ein Warschauer Augenzeuge über die nunmehrige Frau Wittowa: „Ich weiß nicht, ob Helena, Aspasia, Lais, Athens berühmteste Schönheiten, sie an Reiz und Anmut übertreffen konnten. Ich sah im Leben keine schönere Frau“, und, die Höflinge seien auf die Tische geklettert, um ihr näher zu sein.

Das Paar ging anschließend nach Paris, wo Zofia ihren ersten Sohn gebar, und 1786 wieder nach Kamjanez, weil de Witte die Nachfolge seines verstorbenen Vaters als Kommandant antreten sollte. Zofia schmeckte das Leben auf der Festung aber nicht, sie besuchte mehrfach Iași, wo ihre Tante inzwischen einen griechischen Kaffeehausbesitzer geheiratet hatte, wurde dort vom späteren französischen Außenminister Alexandre d’Heuterive umschwänzelt, aber auch von Frauen wie der Nichte Stanislaw Augusts: „Die Reisen, die Lektüre haben sie unendlich gefördert, ihre Gedanken sind so frisch wie das Gesichtchen, und ihre Art, sich auszudrücken, ist ziemlich originell, zusammen mit dieser natürlichen, nicht anerzogenen und sehr gefälligen Bescheidenheit. Das ist eine Frau, mit der ich sehr gerne zusammenleben würde.“

1789 wollte sich Zofia mit 30 polnischen Adligen in Cherson zu einer Kreuzfahrt einschiffen, kam aber nur bis Istanbul. Zeit für eine neue Affäre, diesmal war der Glückliche der französische Botschafter Auguste de Choiseul-Gouffier, den sie aus Paris kannte. Doch dann erklärte die Türkei Russland den Krieg und Zofia brachte sich in Wien in Sicherheit, während ihr verzweifelter Gatte nicht wusste, wo sie steckte und beinahe sein Kommando aufgegeben hätte, um sie zu suchen. Aber irgendwann tauchte die Gute wieder auf, allerdings nur, weil sie sich scheiden lassen wollte. Um sie zurückzugewinnen, tauschte der General die Münzensammlung seines Vaters gegen Schmuck aus der königlichen Schatzkammer ein und versprach ihr, sie besser zu behandeln. Die Versöhnung war kurz, weil der nächste Lover am Horizont auftauchte: Fürst Potemkin, der russische Oberbefehlshaber, für den sie auch während des Russisch-Türkischen Krieges als Agentin tätig gewesen sein soll – bei ihren verzweigten Kontakten gut denkbar, aber nicht verbürgt.

Als ihr immer-noch-angetrauter seine Kommandantenstelle verlor, erreichte sie bei ihrem Neuen geliebten, dass Witte in russische Dienste übernommen, zum Gouverneur von Cherson ernannt und endlich auch noch Reichsgraf in Wien wurde. Als Fürst Potemkin starb wechselte Zofia in das Bett des reichsten polnischen Magnaten, Reichsgraf Szczęsny Potocki. Der lebte meist in seinem Palast in Tultschyn bei Kiew und hatte eine Frau, Józefina, die zum Hofstaat Katharinas II. gehörte und ihn so oft betrogen haben soll, dass acht ihrer elf Kinder andere Väter hatten. Dafür gebar Zofia ihm bald einen Sohn. Auch Graf Potocki spekulierte wie vor ihm Potemkin auf den polnischen thron und bekämpfte die neue Verfassung. 1792 Beteiligte er sich an der  polens durch Russland und die zeit zwischen der zweiten und dritten Teilung Polens verbrachte das Paar in Hamburg, wo sich Potocki ein Palais bauen ließ, während er die Verwaltung seiner Besitzungen seiner Ehefrau überließ. In Hamburg brachte Zofia einen weiteren Sohn zur Welt, der aber sehr wahrscheinlich einen französischen Emigranten zum Vater hatte.

Nach dem Kościuszko-Aufstand 1794 wurde Potocki als Verräter zum Tode verurteilt, in Abwesenheit symbolisch gehängt und sein Besitz konfisziert. Doch nachdem der Aufstand niedergeschlagen war, kehrten beide nach Warschau zurück. Zofias Ehemann hatte sich jahrelang geweigert, die Ehe mit ihr annullieren zu lassen. Nun endlich, mit einem fürstlichen „Schmerzensgeld“ entschädigt, willigte er ein. Und auch Potocki konnte sich nach dem Tod Katharinas II. scheiden lassen. Noch vor beider Hochzeit 1798 bekam Zofia in Uman eine Tochter und unmittelbar nach der Eheschliepung in Tultschyn einen weiteren Sohn. Die Legitimierung der Verbindung empörte den Adel und auch Potockis Kinder akzeptierten die Stiefmutter nicht. Die neue Reichsgräfin machte dennoch Dauerparty im Palast und begann, als der Hausherr zu kränkeln anfing und sich zunehmend in seine Gemächer zurückzog, eine Affäre mit seinem 16 Jahre jüngeren Sohn Jerzy. Potocki kam dahinter und fürchtete fortan, von den beiden vergiftet zu werden. Als er 1805 starb, soll er Zofia den Zutritt zum Sterbezimmer verboten und seinen Stammhalter verflucht habe

Zofia war nun 45 und Witwe und hatte wieder Zeit für neue Liebhaber. Die bekanntesten waren der russische Senator Nikolai Nowossilzew, der britische Botschafter Lord Douglas sowie der spätere französische Regierungschef Richelieu. Jerzy Potocki indes, ihr Stiefsohn, ein großer Spieler vor dem Herrn, erkrankte an Syphilis und starb 1809 in Paris. Zofia, noch immer in Tultschyn, ließ es sich derweil gut gehen, hatte Gesellschafterinnen, Maler, Musiker, Dichter, Gärtner, Ärzte, Stallmeister, Sekretäre und 60 Bedienstete um sich herum und die Einkünfte von 200.000 Bauern. 1820 allerdings vertrieb sie ihr Sohn Mieczysław aus Tultschyn. Zofia enterbte ihn daraufhin und erklärte ihn für das Kind eines italienischen Banditen namens Caracolli, der sie auf der Hochzeitsreise mit Potocki vergewaltigt habe. 

Zofia Potocka starb 1822 mit 62 Jahren in Berlin, wo sie Heilung von einer Krankheit (eventuell Krebs) gesucht hatte. Während ihre Liebschaften verbürgt sind (die diversen Spionageaktionen, die ihr im Laufe ihres Lebens angedichtet wurden, konnten nie verifiziert werden), ranken sich um ihr Ende nur Legenden. Eine besagt, sie haben als Strafe für ihr sündiges Leben vor ihrem Tod „mit perfektem Gedächtnis mehrere Monate lang als stinkende Leiche“ dahinvegetiert, eine andere will wissen, dass ihr ein polnischer Gardeoffizier den Wunsch erfüllt habe, noch einmal einen schönen Mann in ihrem Schlafzimmer zu sehen. Hoffen wir letzteres:)

Hinterlasse einen Kommentar