Ida Dehmel

Ida Dehmel, geb. Coblenz 14.1.1870 – 19.9.1942 suizid

Ida und Richard Dehmel
Psalm zweier Sterblichen

DER MANN
Göttin Zukunft,
mit gefesselten Händen hältst du
eine geschlossene Schriftrolle,
drin mein Schicksal verzeichnet steht.
Langsam, Tag für Tag,
ringe ich deinen Fingern
Zoll für Zoll die Urkunde ab,
Zeile für Zeile.
Bis der Augenblick kommt,
wo das entrollte Papier,
eh ich das letzte Wort noch las,
meinem erschöpften Arm entfällt;
und mit gefesselten Händen
gibst du den Winden zur Sage anheim,
was ich tat.

DAS WEIB
(Von Ida Dehmel)
Schicksalsgöttin,
ich liege vor dir auf den Knieen.
Du hältst in deinen, ach, gefesselten Händen
eine goldene Tafel,
drin die Namen nur derer eingegraben stehn,
die Unvergeßliches taten.
Auf den Knieen, Schicksalsgöttin,
bitte ich dich:
Laß mich nicht ins Namenlose versinken!
Spreng deine Fesseln – oder
nur einen Augenblick
reich mir die goldene Tafel,
und neben die Runen der Helden und der Weisen
schreibe ich hinsinkend:
Ich liebte.
(in: schöne wilde welt. berlin 1913)

Ida Dehmel an eine Freundin, 13.2.1939:
„Leider ist mein Herz noch ziemlich in Ordnung (…) Vielleicht ist auch der Tod Judenfeind geworden. Man scheint sich ihm gewaltsam aufdrängen zu müssen. (…) Du kannst dich in meine Seele jetzt nicht hineindenken. Jede Zeitung, jede Verordnung vergiftet mich.“

Peter Suhrkamp an seine Frau, 25.9.1941:
„Mich nimmt gegenwärtig eine Hilfsaktion in Anspruch: für Frau Dehmel. Sie ist über siebzig – Volljüdin. Nach einem neuen Gesetz müssen ab nächste Woche die Juden auf der Brust den gelben Stern tragen. Das muss ich von ihr abwenden, sonst fürchte ich einen Selbstmord. Ich hatte einen entsetzlichen Brief von ihr. Da Ausnahmen nur für solche in Mischehen mit eigenen nichtjüdischen Kindern vorgesehen sind und sie mit Dehmel keine Kinder hat, ist das sehr schwer zu regeln. So enden die „zwei Menschen“. (…) es ist entsetzlich. Wahrscheinlich werde ich nun für Frau Dehmel Emmy Göring in Anspruch nehmen müssen. Aber das spare ich auf bis zum letzten Moment, wenn ich sonst nicht mehr vorankomme.“

Ida Dehmel an einen Freund, Oktober 1941:
„In all diesen Höllenstunden blieb mir 1/100 Hoffnung neben 99 Wahrscheinlichkeiten des Untergangs. (…) tief beklage ich die ärmsten, die hinausgeschleppt wurden. Demütig frage ich mich, was ich besseres bin als sie.“

Hanna Roehr nach Ida Dehmels „Freitod“:
„Vorher hatte sich niemand von allen, die sie umwarben daran gestoßen, dass diese kluge, bis in jede Faser deutsch empfindende Frau Jüdin war. Jetzt – mied man sie. Sie ertrug es mit großer Fassung. Was sie aber nicht ertrug, was ihre Lebenskräfte verzehrte, war die Sorge um das Dehmel-Archiv und Dehmel-Haus, so wie sie und Dehmel es gemeinsam gestaltet hatten (…) Sie trug immer Veronal bei sich. und jedesmal wenn eine neue Aktion einsetzte war sie scheidebereit. Denn lebend, das war ihr fester Entschluss, verließ sie das ihr anvertraute Haus nicht.“

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