
Karoline Stern *10. April 1800
Maximilian, der jüngste Bruder Heinrich Heines schrieb 1868 in seinen Erinnerungen:
„In dem ‚Buche der Lieder‘ befindet sich ein Gedicht unter dem Titel: An eine Sängerin, als sie eine alte Romanze sang, mit dem Anfange „Ich denke noch der Zaubervollen, / Wie sie zuerst mein Auge sah.“ aus der frühesten Jugendzeit des Dichters.
Zu damaliger Zeit hatte die kleine Stadt Düsseldorf eine ganz vortreffliche Oper (…). Bei der Oper befand sich eine Primadonna von ungefähr zwanzig Jahren, Caroline Stern genannt. Diese hatte eine wundervolle Altstimme, war von äußerst schönem Wuchse und sehr angenehmen Manieren. Sie lebte in Düsseldorf mit ihrer Mutter, sittsam zurückgezogen, obgleich sie von dem Publikum fast angebetet und viel aufgesucht wurde; nur in dem Hause unserer Eltern verkehrte sie, und war ein immer willlkommner lieber Gast; meine Mutter, große Beschützerin der Literatur und Kunst, nahm das junge Mädchen mit beinahe mütterlicher Liebe in ihre Obhut. Sie überlegte mit ihr stets ihre Toilette, unterstützte sie reichlich in ihren Ausgaben, weshalb ihre Anzüge in den Opern für die dortigen Verhältnisse wahrhaft Epoche machend waren. Zum Besten der Armen wurde einstmals ein Concert arrangirt und Fräulein Stern sang auf den Wunsch meiner Mutter eine prachtvolle Romanze, die einen unerhörten Beifallssturm hervorrief.
Nach dem Concert war sie zum Souper in unserm Haus, an dem Heinrich und wir übrigen Geschwister Theil nahmen. (…) Heine hatte den ganzen Abend über nur Blicke für die reizende Sängerin. Wer konnte ahnen an jenem Abend, was in der Brust des jungen Dichters vorging, von dem damals Niemand wußte, daß die Poesie schon sein ganzes Ich erfaßt hatte. Wie unendlich groß war die Überraschung der Mutter am andern Morgen, als ihr der geliebte Sohn, dessen sinnenden Block bisher Niemand zu deuten verstand, das erwähnte Gedicht, kalligraphisch schön auf Velinpapier geschrieben und mit Arabesken verziert, ängstlich übergab. Der Schluß lautetet: Das war ein laut verworr’nes Schallen, / Das mich aus meinem Träumen rief. / Verklungen war jetzt die Legende, / Die Leute schlugen in die Hände, / Und riefen „Bravo“ ohne Ende; /Die Sängerin verneigt sich tief.
(…) Das Gedicht gefiel ungemein; die Sängerin küßte in ihrem Entzücken den ganz verwirrt gewordenen jungen Dichter, und behielt die Romanze als das theuerste Andenken. (…) Von jener Zeit an sah man mit ganz andern Augen auf den jungen Herrn des Hauses.“
Karoline Stern war die erste von mehreren Primadonnen, die Heinrich Heine stark beeindruckt und seine poetischen Emotionen gesteuert haben. Wer war diese – damals 18-jährige – Sängerin?
Karoline Stern war die Tochter des jüdischen Geigers Joachim Stern und seiner Frau Regina Bamberger. Sie wurde am 10. April 1800 in Mainz geboren und erhielt ihren ersten Gesangs- und Musikunterricht von ihrem Vater. Später übernahm der über Mainz hinaus bekannte Musikpädagoge Anton Joseph Heideloff ihre Ausbildung.
Mit 16 Jahren debütierte Karoline 1816 am Nationaltheater in Trier als Myrrha in der Oper „Das unterbrochene Opferfest“ von Peter von Winter und avancierte schnell zu einer gefragten Sängerin. Ihr zweites Engagement führte sie nach Düsseldorf, wo sie häufig Gast der Familie Heine war und der 20-jährige Heinrich (zu dieser Zeit noch „Harry“) Heine ihr das eingangs erwähnte Gedicht widmete. Nachdem sie anschließend für kurze Zeit in Aachen gastier hatte, vermittelte sie die gut vernetzte Betty Heine, Heinrichs Mutter, 1819 als „Primadonna“ an das Stuttgarter Hoftheater, dem sie bis 1824 angehörte.
1825 kehrte sie kurz ans Mainzer Theater zurück und wechselte dann nach München. Zu ihren Partien gehörten die Obervestalin in „La Vestale“ von Spontini, die Constance in „Der Wasserträger“ von Cherubini, die Marguerite in „La Dame blanche“ von Boieldieu und die Mme Bertrand in „Maurer und Schlosser“ von Auber. 1828 ging Stern nach Augsburg und 1836 nach Würzburg. Sie sang die Rosina im „Barbier von Sevilla“, die Ninetta in Rossinis „La gazza ladra“, die Donna Elvira im „Don Giovanni“, die Agathe im „Freischütz“ und die Isabella in „Robert le Diable“ von Meyerbeer.
1841 zog sich Karoline Stern von der Opernbühne zurück, entfaltete aber nun eine nicht weniger glanzvolle Karriere als Konzertsolistin. 1855 gab sie auf Einladung des Prinzen von Hohenzollern-Hechingen an seinen Hof in Hechingen ihr letztes öffentliches Konzert. Dann zog sie mit ihrem Sohn Julius (nicht zu verwechseln mit dem zeitgleich in Berlin lebenden Komponisten Julius Stern), der bereits als 14-jähriger im Theaterorchester in Würzburg die erste Geige gespielt hatte, nach Berlin. Hier arbeitete sie in ihren letzten Lebensjahren als Gesangslehrerin. Karoline Stern starb 1855 in Berlin.
Nach Ansicht des Historikers und Rabbiners Meyer Kayserling war Stern die erste Jüdin, die auf der deutschen Opernbühne den Status eines Stars erlangte; sie „(…) rechtfertigte mit ihrer seltenen Coloratur und ihrem hinreißenden Vortrag, unterstützt von einer imposanten Gestalt, wie als Opern- so auch als Concertsängerin ihren Künstlerruhm“, schrieb Kayserling 1879 in seinem Werk „Die jüdischen Frauen in der Geschichte, Literatur und Kunst“.
Karoline Stern war indes nicht die einzige gefeierte Jüdin auf den deutschen Opern- und Konzertbühnen der damaligen Zeit. Es gab hier die fünf Heinefetter-Schwestern, es gab Pauline Lucca, Marie Heilbron oder auch Marie, Henriette und Sophie Sulzer, die Töchter des berühmten Wiener Oberkantors Salomon Sulzer. Karoline Stern jedoch wird wohl dank eines der ersten Gedichte, das Heinrich Heine schrieb, im Gedächtnis der Poesie- und Musikfreunde bleiben.
Bilder:
Porträt Karoline Stern, anonym, Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Ilse Hummel, Foto: Jens Ziehe
Programmzettel des Theaters Düsseldorf 1818
„An eine Sängerin“ im „Buch der Lieder“, Heinrich Heine 1827
